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Die Köpfe hinter dem CREATORS-Wettbewerb

In der letzten Ausgabe haben wir bereits mit Corny Littmann darüber gesprochen, was ihn dazu bewegt hat, einen Wettbewerb für Musical-Autoren und -Komponisten durchzuführen. Diesmal haben wir uns mit dem erfolgreichen Kreativteam des Hamburger Schmidt Theater und Schmidt’s Tivoli zusammengesetzt, um zu erfahren, warum die deutsche Musicallandschaft schon lange auf einen Wettbewerb dieser Art gewartet hat.

Martin Lingnau komponiert seit Ende der 1990er Jahre Musicals und Revuen, die auf den Bühnen von Schmidt Theater und Schmidt’s Tivoli erfolgreich sind. Aus seiner Feder stammen u. a. „Swinging St. Pauli“, „Heiße Ecke“ oder „Die Königs vom Kiez“. Im November feierte er gleich zwei Weltpremieren: Im Schmidt Theater wurde zum ersten Mal „Der Kleine Störtebeker“ – die Kindheitsgeschichte des berühmten Freibeuters – aufgeführt, während auf der anderen Seite der Elbe „Das Wunder von Bern“, die neueste Eigenproduktion der Stage Entertainment Weltpremiere feierte.

Seit 15 Jahren bildet er mit Heiko Wohlgemuth ein eingeschworenes Team. Der Schauspieler, Songtexter, Autor und Übersetzer hat nicht nur die meisten aktuellen Schmidt-Produktionen mitgeschrieben, seine pointierten Texte hört man auch beim „Schuh des Manitu“ oder „Hairspray“.

Das jüngste Mitglied der Kreativschmiede Schmidt Theater ist Mirko Bott. Seit 10 Jahren ist er als Programmchef mit im Boot und hat sich seither dort auch als Autor einen Namen gemacht. So stammt u. a. die musikalische Komödie „Oh Alpenglühn“ mit Nik Breidenbach und Carolin Fortenbacher von ihm, auch bei den „Königs vom Kiez“ hat er das Buch mitgeschrieben. „Nebenbei“ inszeniert er an Stadttheatern, um seiner Leidenschaft für Opern und Operetten zu frönen, und zeichnete sich in den letzten 7 Jahren für mehr als dreißig Schows auf den Schiffen der AIDA-Flotte als Autor und Regisseur verantwortlich.

Michaela Flint: Ihnen liegt der CREATORS-Wettbewerb auch persönlich sehr am Herzen. Warum ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt, diesen Wettbewerb zu starten?

Heiko Wohlgemuth: Weil es echt mal Zeit wird! In der Popularmusik gibt es seit Jahrzehnten den Popkurs, da helfen sich Popmusiker gegenseitig und bekommen Unterstützung von Textern, Autoren und Beratern. Etwas Vergleichbares fehlt in unserer Branche.

Michaela Flint: Wie kam es dazu, dass Sie gemeinsam als Schmidt Theater und Schmidt’s Tivoli Kreativteam diesen Wettbewerb initiierten?

Martin Lingnau: Ursprünglich war das Ganze Corny Littmanns Idee, die aus einer Reihe von vielen Gesprächen entstanden ist. Es stand immer wieder die Frage im Raum: Wieso gibt es eigentlich so wenig originäre deutsche Musicals? Es gibt so viele Autoren, die für Film oder Fernsehen schreiben, es gibt Popsong-Komponisten, Comedy-Autoren… Aber warum gibt es nur so wenige, die für neue Musicals arbeiten?

Mirko Bott: Wir alle waren sofort Feuer und Flamme. Einen Wettbewerb in dieser bisher noch nicht dagewesenen Form in Deutschland umzusetzen – da kam neben der Neuköllner Oper eigentlich nur unser Haus als erfolgreichstes deutsches Privattheater in Betracht. Wir haben die Möglichkeit, eine entsprechende Öffentlichkeit zu erreichen und wir stehen genau für das, was wir mit diesem Wettbewerb sagen wollen: Es gibt so viele Talente in unserem Land, wieso werden immer nur Shows vom Broadway oder West End übersetzt und hier abgespielt? Das mag ja grundsätzlich nicht verkehrt sein, aber es läuft gänzlich unbeteiligt an den hiesigen kreativen Menschen vorbei. Ich glaube, die Zeit, in der man Musical als einen Exoten aus den USA gesehen hat, ist – auch dank Helmut Baumanns unermüdlicher Arbeit am Theater des Westens – vorbei.

HeikoWohlgemuth_Creators_2014
Heiko Wohlgemuth

Heiko Wohlgemuth: Aber für viele ist Musical immer noch „Elisabeth“ oder „Rudolf“ und immer ein großes Kostümdrama. Aber so etwas wie „Hair“ oder „Tommy“ sind doch auch Musicals… Ich habe den Dünkel gegenüber dem Musical nie verstanden. Ich finde es unglücklich, wenn staatlich subventionierte Theater ihre Experimentalstücke auf und ab spielen und nur damit die Zahlen stimmen „Sekretärinnen“ von Franz Wittenbrink mit auf den Spielplan nehmen. Sie bedienen sich des Schmidt-Humors und blicken dünkelnd auf uns herunter, weil wir ja „Boulevard“ machen, frisieren aber letztlich mit solchem „Trash“ ihre Zahlen.

Martin Lingnau: Ich glaube, in Deutschland ist Musical immer noch ein verkanntes Genre. Es wird gleichgesetzt mit Seifenopern. Heiko und ich betreiben da seit fast 20 Jahren Entwicklungshilfe und es ist wirklich schön zu sehen, das so langsam etwas vorangeht. Kevin Schröder, Marc Schubring und Wolfgang Adenberg – das sind tolle Kollegen, die sehr schöne Sachen schreiben.

Michaela Flint: Dennoch ist die Autoren- und Komponistenszene in Deutschland sehr überschaubar. Wie wichtig ist es da, direkte Nachwuchsarbeit zu betreiben und den jungen Kolleginnen und Kollegen vielleicht auch Hilfestellung zu geben, wie sie ihre Stücke am besten in den Theatern platzieren?

Heiko Wohlgemuth: Normalerweise kommen die Ideen auf Papier in den Theatern an. Aber eine Idee singt nicht, sie lacht oder weint auch nicht. Das Tolle an diesem Wettbewerb ist, dass wir allen die Möglichkeit geben, ihre Idee plastisch zu machen; Man hört wie eine Komposition klingt, hört, ob die Dialoge funktionieren und bekommt sofort mit, ob einen die Handlung packt oder nicht. Damit trennen wir auch die Spreu vom Weizen und können den wirklich förderungswerten jungen Kollegen finanziell und mit Know-How zur Seite stehen.

Mirko Bott: Wie so viele andere Menschen im Theater hatten ja auch wir unsere Durst- und Leidensphase am Anfang. Man muss Klinken putzen, macht Regieassistenzen und hofft, dass man von einem Haus irgendwann eine eigene kleine Regie angeboten bekommt. Es spielt aber noch eine andere Sache eine Rolle: Jeder Intendant, auch wir, bekommt wahrscheinlich jeden Tag zwölf neue Ideen auf den Tisch. An der ersten Seite kann man schon sehr viel erkennen und weiß, ob das Stück in das Programm des Hauses passt oder nicht. Die, die es schaffen, ihre Idee in zehn Sätzen knackig zu präsentieren und sich vorher informiert habe, ob ihre Idee programmatisch in das gewünschte Theater passt, habe eine echte Chance.

Ich halte es für einen Fehler, seine Ideen und Stücke wahllos breit zu streuen. Ich verstehe das natürlich, denn der Markt ist hart umkämpft. Aber durch diese Produktion von Papierstapeln auf den Tischen der Theatermacher wird denen, die ein wirklich interessantes Stück haben, die Gelegenheit genommen, entdeckt zu werden.

Martin Lingnau: Wen das jedoch überfordert, der ist hier am falschen Platz und sollte seine Berufswahl vielleicht auch nochmal überdenken.

Martin Lingnau

Michaela Flint: Auf der CREATORS-Pressekonferenz haben Sie, Herr Lingnau, Ihrem großen Bedauern Ausdruck verliehen, dass es zwar Filmförderungen usw. gibt, aber im Musicalbereich weit und breit nichts Vergleichbares vorhanden ist.

Martin Lingnau: Das liegt einfach daran, dass das Genre an sich so verkannt ist und als Medium überhaupt nicht ernst genommen wird. Um so schöner ist es, dass Corny Littmann da jetzt ohne Förderung seine eigene Förderung aufbaut.

Heiko Wohlgemuth: Es gibt dieses Genre ja durchaus in Deutschland. Aber dadurch, dass das Medium ein so wenig eigenständig Deutsches ist und primär lizenzierte Shows aus Amerika gespielt werden, gibt es da noch viel Nachholbedarf. Man müsste endlich mehr Platz schaffen für deutsche Stoffe, für originäre Stoffe, für selbst entwickelte Stoffe, die es dann auch auf die große Bühne schaffen, wie bspw. „Das Wunder von Bern“.

Michaela Flint: Aber liegt es daran, dass es diese Stoffe nicht gibt oder dass die Intendanten und Dramaturgen auf Nummer Sicher gehen?

Heiko Wohlgemuth: Wenn „Dirty Dancing“ draufsteht, dann mag die Show aussehen wie sie will, sie verkauft Tickets. Es ist halt die Frage, was man möchte… Natürlich birgt es ein gewisses Risiko, ein Stück von einem jungen, unbekannten Autoren zu spielen, aber nur dann wird es auch etwas Besonderes. Gerade im subventionierten Theater sollte man dieses Risiko aber eingehen können.

Martin Lingnau: Aber das kann man denen natürlich nicht vorschreiben. Es kann nur ein fließender Prozess sein und vielleicht ist ja der CREATORS-Wettbewerb ein kleiner Anstoß in die richtige Richtung.

Michaela Flint: Im Prinzip wissen Sie aber doch am besten wie es gehen kann. Was hat Ihrer Karriere den größten Anschub gegeben?

Martin Lingnau: Einen Ort zu haben, in dem man aufgeführt wird. Das Vertrauen zu haben, dass man schreiben darf…

Heiko Wohlgemuth: In einer Umgebung zu arbeiten, in der man konstruktiv kritisiert und gefördert wird.

Mirko Bott: Wir drei sitzen bei jeder großen Produktion mit Corny Littmann zusammen und besprechen alles. Manchmal kommt auch Martin mit einer Idee auf uns zu, die uns sofort begeistert. Es ist glücklicherweise hier im Haus so, dass ein Stück von der Idee, über die Entwicklung bis hin zu den Proben und der Inszenierung viele lustige Instanzen durchläuft.

Da spielen auch die Schauspieler und Sänger eine wichtige Rolle. Wir haben immer Darsteller, die in der Lage sind, bei der Probe etwas Verrücktes anzubieten, um die Ideen von Autoren und Regisseur zu ergänzen. Es kommt nicht vor, dass Corny mit einem sturen Regiekonzept an eine Produktion rangeht. Sondern es wird vielmehr sechs Wochen lang Spielwiese gemacht und entwickelt. Es wird gebastelt und ausprobiert, bis die Szene irgendwann stimmt. Da gibt es sehr viel Potential für Kreativität.

Michaela Flint: Sie sind als Team alle perfekt aufeinander eingespielt. Das ist schon eine sehr besondere Situation, wenn man sich die übrige Musicallandschaft anschaut.

Martin Lingnau: Dieses Privilegs sind wir uns voll bewusst. Wir haben das Schmidt Theater ja mit geprägt, insofern ist es ein Geben und Nehmen.

Heiko Wohlgemuth: Ich finde es besonders angenehm, dass sich hier niemand über seine Position definiert. Das ist an manchen anderen Häusern anders.

Martin Lingnau: Ja, das ist wirklich super. Wir spielen uns die Bälle zu; das passiert von ganz allein. Oft weiß man schon, was der andere denkt. Häufig schreiben wir auch die Geschichte zusammen oder Heiko sitzt stundenlang mit mir im Studio und wir arbeiten an den Sounds.

Michaela Flint: Würden Sie sagen, dass Autoren und Komponisten als Duo größere Chancen hätten, Ihre Stücke aufführen zu lassen?

Heiko Wohlgemuth: Das kann man schon so sagen. Man muss sich halt finden und es muss passen.

MIrko Bott

Martin Lingnau: Es hilft auf jeden Fall, wenn man eingespielt ist. So haben wir über die Jahre eine eigene Handschrift entwickelt, die man erkennt und das ist ein schönes Gefühl.

Michaela Flint: Ist es eigentlich geplant, dass Sie gemeinsam mit den Teilnehmern an deren Stücken arbeiten?

Martin Lingnau: Das wird sich zeigen. Es hängt davon ab, was sie brauchen, was sie wollen. Ich habe eine große Vorfreude darauf, schönen Stoffen und schönen Songs zu begegnen und nette Leute kennenzulernen. Es geht auf keinen Fall darum, den Stücken unseren Stempel aufzudrücken.

Heiko Wohlgemuth: Dem kann ich nur zustimmen. Ich freue mich, wenn es endlich losgeht und wir voneinander und miteinander lernen können.

Michaela Flint: Wie soll CREATORS die deutsche Musiktheaterlandschaft verändern?

Mirko Bott: Ich würde mir wünschen, dass mindestens 20-30 Produzenten, Theaterverantwortliche und Operndirektoren das Angebot annehmen, sich innerhalb von zwei Tagen 4-6 Stücke anzusehen. Anschauen verpflichtet ja nicht zum Kauf. Wir servieren ihnen alles auf einem Büfett und sie können sich die Rosinen raus picken, mit denen sie dann eine Uraufführung an ihrem Haus gestalten. Wenn es angenommen wird, sind wir gern bereit, so einen Wettbewerb alle 2 Jahre durchzuführen.

Martin Lingnau: Ich fänd es super, wenn viele junge, neue Autoren und Komponisten den Mut haben, Stücke zu entwickeln, die Gehör finden und dann auch aufgeführt werden. Es wäre schön, wenn sich die Musiktheater-Landschaft dadurch ein wenig öffnet.

Heiko Wohlgemuth: Mir würde es gefallen, etwas Modernes zu hören. Dass bspw. ein paar Teenies mit einer Elektropop-Show daherkommen. Etwas aus einer Ecke, in die ich sonst nicht komme, auch weil ich zu alt dafür bin.

Ich hoffe aber, es kommen nicht nur die Kreativen, die „mal gucken wollen, wie es die anderen machen“, sondern vor allem Intendanten und Verlage, die sich für neue Musicals interessieren.

Michaela Flint: Es ist ja nicht gesagt, dass die Stücke im Schmidt Theater oder Schmidt’s Tivoli aufgeführt werden…

Heiko Wohlgemuth: Nein, es geht darum, frischen Leuten ein Podium zu geben. Egal an welcher Bühne es dann letztendlich vielleicht zur Aufführung kommt. Wir wollen Schnittstelle zwischen Machern und Theatern oder Verlagen sein. Natürlich fragt man sich, warum dieser Wettbewerb nicht von Joop van den Ende initiiert wurde. Aber umso besser… Es geht uns darum, den Kolleginnen und Kollegen eine Plattform zu bieten. Eigentlich können sich die Teilnehmer freuen, dass sie zu so günstigen Konditionen einen Verlag finden und dass ihr Stück mit sehr großer Wahrscheinlichkeit aufgeführt wird.

Michaela Flint: Wir sind gespannt, wie sich dieser Wettbewerb entwickelt. Vielen Dank für die umfassenden Einblicke.

leicht gekürzt erschienen in musicals – Das Musicalmagazin
Fotos: Nina Gruetzmacher / Oliver Fantitsch / Genbu Arts