Rent

Ausgezeichnete Musical-Verfilmung von Chris Columbus

Liebhaber von Jonathan Larson’s bohemischem Musical werden sich in der Verfilmung, die seit kurzem in Deutschland zu sehen und parallel bereits auf Original-DVD erschienen ist, sehr schnell wohl fühlen.

Die Charaktere werden sehr glaubhaft von den Musicaldarstellern auf die Leinwand gebracht. Ebenso wirkt das ganze Ambiente – Kostüme, Ausstattung, Szenenbilder – sehr authentisch. Dies wird unter anderem auf dadurch erreicht, dass auf pompöse Effekthascherei durch die findigen Hollywood-Trickser komplett verzichtet wurde. Schonungslos und rauh wird die Welt der acht jungen Erwachsenen in New York der 90er gezeigt. Alle kämpfen auf ihre Art ums nackte Überleben, indem sie sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten, lehnen sich gegen die oberen Zehntausend auf, indem sie viel beachtete Protestveranstal-tungen organisieren, versuchen ihre Träume zu verwirklichen und auch und vor allem die Folgen von Drogenkonsum und HIV-Infektion so gut wie möglich zu verarbeiten.

Das blanke Ausgeliefertsein gegenüber der Krankheit und den äußeren Umständen, die ihnen den Lebensraum unter den Boden wegzuziehen drohen, wird durch die schlichte Ouvertüre „Seasons of Love“ besonders klar hervorgehoben: Wie auch in der Bühnenfassung stehen die Protagonisten in einzelnen Lichtkegeln auf einer leeren Bühne. Das geht unter die Haut und macht neugierig auf mehr. Direkt in einer der folgenden Szenen sind die kreativen Pferde mit Regisseur Chris Columbus durchgegangen, denn bei „Rent“ lässt er die Bewohner eines ganzen Straßenzugs brennende Zettel aus ihren Wohnungen auf die Straße werfen, die damit ihrem Unmut über die angekündigte Mieterhebung Luft machen. In dieser Szene wurde schlichtweg zu dick aufgetragen, aber über die Dauer des Films ist dies der einzige Ausreißer.

Wie auch die Kompositionen von Larson so sind auch die verschiedenen Szenen sehr intensiv und mitreißend umgesetzt. „Rent“ ist ein Musicalfilm, wie man ihn sich vorgestellt. Dort, wo Dialoge mehr Sinn zur Verdeutlichung der Handlung machen, wurde sie hinzugefügt oder das durchkomponierte Libretto entsprechend abgeändert. Aber Charaktere und Rahmenhandlung bleiben so wie sie ursprünglich angelegt waren. Dennoch muss man sagen, dass dieser Film für das Mainstream-Kino-Publikum sicherlich nur schwer verdaulich ist. Zum einen liegt dies sicherlich daran, dass die Drogen- und AIDS-Probleme so schonungslos dargestellt werden, die Themen Tod und Angst sind ständig präsent, es werden Nadeln, nackte Pos und ähnliche Dinge gezeigt, die in einem normalen Hollywood-Film sicherlich der Zensur zum Opfer fallen würden.

Doch jeder, der „Rent“ schon einmal gesehen oder gehört hat, wird begeistert sein, da einfach nichts fehlt: Mark (Anthony Rapp) ist von Maureen (Idina Menzel) verlassen worden, die er immer noch liebt. Roger (Adam Pascal) hat eine kreative Blockade und dann läuft ihm die schöne Mimi (Rosario Dawson) über den Weg. Angel (Wilson Jermaine Heredia) und Collins (Jesse L. Martin) geben ein schönes Paar ab; „I’ll cover you“ gehört zu den schönsten Szenen des Films. Benny (Taye Diggs) ist zwischen seinen ehemaligen Freunden und der Verpflichtung gegenüber seinen Schwiegervater in spe hin- und hergerissen. Bleibt noch Joanne (Tracie Thoms), der die aufmüpfige, lebensfrohe Maureen irgendwann zuviel wird, sich aber im Grund nicht wirklich trennen kann oder will.

Die gesamte Cast empfiehlt sich als Leinwand-Schauspieler, da sie ihre Alter Egos sehr glaubwürdig verkörpern. Dies liegt zu großen Teilen sicherlich auch daran, dass sechs der acht Darsteller bereits bei der Weltpremiere 1996 diese Rollen verkörperten.

Bemerkenswerte Szenen sind der „Tango Maureen“, den Mark als Halluzination erlebt, nachdem er an Maureens Proteststätte im wahrsten Sinne des Wortes auf Joanne getroffen ist. Auch „La Vie Boheme“ ist einfach großartig umgesetzt: Die kleine Gruppe von Außenseitern sprüht vor Energie und Lebensfreude und steckt dadurch nicht nur alle anderen Restaurantbesucher an.

Auf eine ganz andere Art großartig – nämlich sehr zu Herzen gehend – ist „Without You“ umgesetzt: In dieser Szene wird parallel die Trennung von Mimi und Roger verarbeitet, der sich am Grand Canyon eine Auszeit gönnt, und die AIDS-Selbsthilfegruppe von Angel wird immer mehr ausgedünnt. Der Gottesdienst zu Angels Beerdigung ist schlicht umgesetzt, was ihn aber nicht weniger wirkungsvoll macht.

Eine unerwartete Wendung nimmt der Film jedoch zum Schluss: Während Mimi in den Bühnenfassungen in den Armen des geliebten Roger stirbt, überlebt sie ihm Film. Liest man sich hierzu das Libretto durch, erfährt man, dass die Formulierung „… and Mimi slips away.“ tatsächlich doppeldeutig auslegbar ist: Entweder wird sie bewusstlos oder aber sie stirbt. Während sich die Theatermacher auf letztere Variante verständigt haben, kommt durch das Überleben von Mimi ein Hauch von Hollywood-Happy-End in den Film, der zwar nicht notwendig ist, ihm aber auch nicht wirklich schadet.

Denn über die gesamten 150 Minuten gesehen, trifft dieser Film den Tenor des Musicals haargenau und ist damit unbedingt jedem zu empfehlen, der „Rent“ bisher noch nicht live auf der Bühne erleben konnte. 

Michaela Flint

veröffentlicht in blickpunkt musical
Ausgabe 03/06, Mai-Juni 2006

Regie: Chris Columbus
Darsteller: Rosario Dawson, Taye Diggs, Wilson J. Heredia, Jesse L. Martin, Idina Menzel, Adam Pascal, Anthony Rapp, Tracie Thoms
Musik: Jonathan Larson
Verleih / Fotos: Sony Pictures Releasing

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