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Creators-Finale 2017

Am 16. Oktober 2017 war es soweit: Zum zweiten Mal luden Corny Littmann und Norbert Aust zum Finale des von Ihnen 2014 ins Leben gerufenen Autoren- und Komponistenwettbewerbs „Creators“ ein. Die fünf Finalisten hatten sich in zwei Vorrunden gegen rund 70 Mitbewerber durchgesetzt und konnten während des Sommers mit jeweils 10.000 Euro Preisgeld in der Tasche, ihre 20-minütigen Vorrundenbeiträge zu einstündigen Finalmusicals auszubauen.

Das Finale war für Zuschauer wie Jury ein echter Musical-Marathon. Bereits um 16 Uhr ging es los und erst lange nach 23 Uhr wurden die Sieger – ja es gab in diesem Jahr zwei – verkündet.

B A Star

Den Anfang machte „B A Star“ von Karl Lindner. Hier geht es um eine alleinerziehende Mutter, die finanziell am Ende ist und ihre Rettung darin sieht, ihre Tochter Marie bei dem Casting-Wettbewerb „B A Star“ anzumelden. Die Show kämpft allerdings mit schlechten Einschaltquoten und im Hintergrund wird sehr viel gemauschelt, was Marie sofort erkennt und sich von diesem Umfeld lossagt. Zu allem Überfluss verliebt sie sich auch noch in den Publikumsliebling, dem vom Produzenten übel mitgespielt wird. Am Ende tritt Maries Mama selbst auf und bringt mit ihrem emotionalen Auftritt alle zum Nachdenken.

Linder arbeitet mit vielen musikalischen Stilmitteln (Sprechgesang, Ballade, Pop), lässt seine Songs in einem englisch-deutschen Mischmasch singen und bedient sich zahlreicher mit Casting-Shows verbundener Klischees. Regina Mallinger überzeugt als Mutter, da sie sowohl emotional als auch schauspielerlisch und gesanglich Akzente zu setzen weiß.

Insgesamt stellt sich jedoch die Frage, wo Karl Lindner mit „B A Star“ hinmöchte, denn einen roten Faden kann man in dieser Stunde nicht erkennen, und ob die Charaktere in einer abendfüllenden Fassung noch mehr Tiefgang entwickeln, bleibt fraglich. Doch das Publikum nimmt das klischeegetränkte Stück dankbar an und nicht nur die angereisten Fans spenden langen Applaus.

WWW – #verwunschen und vernetzt

Nach einer kurzen Pause ging es nebenan im Schmidtchen weiter mit „WWW – #verwunschen und vernetzt“ von Florian Miro. Im Vorentscheid hieß das Stück noch „The Wicked Witch of the Web“, doch eine der damaligen Empfehlungen der Jury war, auch den Titel zu überdenken, was Miro ganz offenbar beherzigt hat. Der neue Titel macht sicherlich neugierig – griffiger ist er aber nicht wirklich. Doch es geht ja bei „Creators“ nicht darum, im Finale die perfekte Show auf die Bühne zu bringen, sondern der Jury das Potential zu zeigen, was in dem jeweiligen Beitrag steckt. Und in „WWW“ steckt jede Menge Potential!

Angefangen mit der Präsentation: alle Darsteller tragen rollenkonforme Kostüme, weiße Würfel dienen als szenengestaltende Bühnenelemente. Die neun Darsteller (u. a. Kerstin Ibald als großartige Hexe Grimmemiene, Patrick Stamme als eitler Prinz und Marco Formanek als Spiegel) haben sich ganz offenbar sehr gut auf diesen Kurzauftritt vorbereitet, denn egal ob böse Hexe, betörende Loreley, eitler Prinz oder Kampfzwerg Ligof Legends – die Märchencharaktere sind allesamt glaubwürdig und jeder für sich macht richtig Spaß.

Auch die Handlung hat sich seit dem Vorentscheid weiterentwickelt: Grimmemiene ist die Herrscherin des Magischen Netzes. Ihr erklärtes Ziel ist es, eine neue Welt zu schaffen, in der das Böse regiert. Durch eine technische Panne gelangen drei bereits eingefangene Märchenfiguren zurück in den Märchenwald und entdecken ihre eigentliche Heimat komplett neu. Es kommt zu vielen Überraschungen, Nicklichkeiten und auch Romanzen. Wir lernen die altbekannten Kinderlieblinge von einer ganz anderen, nicht immer sympathischen oder jugendfreien Seite kennen: Der Gestiefelte Kater „Miatsetung“ ist ziemlich aggressiv, der Fliegende Holländer macht aus seinen sexuellen Bedürfnissen keinen Hehl und will sich endlich mal wieder „den Mast polieren lassen“, und die „Schuppenbarbie“ Loreley wehrt sich vehement gegen die Avancen des selbstverliebten Prinzen.

Dies alles wird mit ausnehmend viel Wortwitz, pointierten Texten und einer großen Portion Selbstironie erzählt. Die Songs sind schwungvoll und abwechslungsreich. Das Publikum fühlte sich sehr gut unterhalten und applaudierte anhaltend. Kein Wunder also, dass „WWW“ schon frühzeitig als einer der Jury-Favoriten feststand.

Bitte nicht im Stehen kacken – The fabulous life of a Saftschubse

Direkt weiter ging es wieder im Schmidt Theater mit dem klangvollen Musical: „Bitte nicht im Stehen kacken – The fabulous life of a Saftschubse“. Dass dieses Stück von Mirko Klos sehr ironisch und satirisch ist, war schon im Vorentscheid deutlich geworden. Bei „St. Pauli Airwaves“ kommen zahlreiche Musicaldarsteller unter, die es auf der Bühne nicht geschafft haben. Entsprechend klischeelastig wird die Flugreise nach Indien: Das Publikum lernt Bibi kennen, die heute ihren ersten Tag hat und sich direkt mit Uschi anlegt, die ihren letzten Tag als First Class Stewardess hat. Maurice, die Galleymaus, kommentiert das Geschehen und Gabi, die Chefin, hält ihren verrückten Hühnerhaufen irgendwie zusammen.

Musikalisch ist „BNIMSK“ eher eine Revue mit Schlagerschwerpunkt und funktioniert auch sehr gut so. Nicht so gelungen ist, dass das Publikum auch ziemlich erniedrigende Weise mit einbezogen wird. So überzogen die Figuren auf der Bühne (u. a. Daniel Johnson als herrlich tuntiger Maurice, Sarah Matberg als wunderbar überspannte Uschi und Anne Hoth als herrlich naive Bibi) auch sein mögen, sich auf Kosten einzelner Zuschauer lustig zu machen, kommt bei den wenigsten wirklich gut an. Vielleicht auch deshalb springt der Funke nicht so recht über und die hohen Erwartungen, die man nach dem Vorentscheid mit diesem Beitrag verknüpft hat, wurden leider nicht erfüllt.

Back into the Closet

Es folgte der sicherlich kontroverseste Beitrag des Abends: „Back into the Closet“ thematisiert die „Heilung“ von Schwulen, Lesben und Transgender Menschen durch ominöse Gruppierungen. Was eine überzogene Abrechnung mit diesem unsinnigen Thema sein könnte, gerät zu einem trashigen Durcheinander, das den Pfad des guten Geschmacks mehrfach verlässt.

Peter AufderHaar und Matthias von Schemm (Autor und Komponist des Stücks) stehen selbst mit auf der Bühne und geben Mitglieder der Gruppe, die ihr Seelenheil in der Umpolung durch die christliche Psychologenvereinigung „Salve Moribus“ suchen. Sie haben u. a. mit Yvonne Disqué und David Lee Krohn sehr gute Sänger um sich gescharrt, doch irgendwie verliert sich dieser Wettbewerbsbeitrag in Klischees und somit den roten Faden. Schade, denn der voluminöse Auftakt „Happy and Gay“ und die teilweise bitterbösen Dialoge haben durchaus Lust auf mehr gemacht.

Pendelton und die Theaterleichen

Fehlte noch der letzte Finalist: Kostas Georgious und Chris Brewers „Pendelton und die Theaterleichen“. Schon im Vorentscheid hatte man das Gefühl, dass das Stück auf dem richtigen Weg ist und zu diesem frühen Zeitpunkt das rundeste Gesamtkonzept anbieten konnte. Mit tatkräftiger Unterstützung zahlreicher Kolleginnen und Kollegen aus der Schmidt-Familie (u. a. Franziska Kuropka, Charlotte Heinke, Robin Brosch, Dörthe Thiele, Regie: Nik Breidenbach) wurde dieser hohe Anspruch aufrechterhalten.

Jack Pendelton ist ein erfolgloser Privatdetektiv, der durch Zufall auf einen ungelösten, mysteriösen Mordfall im Astor Theater stößt. Er begegnet mit Harold Harker einem seiner Jugendhelden, verguckt sich in die süße Magdalena, verdächtigt den windigen Sam Jourdan und lässt sich von Carl Weber und Monika hinters Licht führen. Allesamt arbeiten in diesem Theater, sind irgendwie geheimnisvoll und haben was zu verbergen. Dann macht auch noch seine Assistentin Sonja gemeinsame Sache mit dem Polizeidirektor Hank Tempelton, und somit ist Jacks Ehrgeiz geweckt. Irgendwie muss er dahinter kommen, wer der Mörder ist…

Musikalisch durchgehend im Swing & Jazz zuhause (schöne Ballade: „Demnächst in diesem Theater“), lässt „Pendelton“ kaum mehr Wünsche offen. Wer diesen Musikstil mag, fühlt sich hier wohl. Hinzu kommen noch exzentrische Charaktere, die sich mit coolen, lustigen Dialogen den ein oder anderen Schlagabtausch liefern. Optimierungspotential? Da müsste man schon sehr genau hinschauen. Selbst die Darbietungsform ist schon nahe am Perfekten. Die Paravents, die als mobile Kulissen genutzt werden, sind durch ihren Stoffbezug auf Kostümelemente einzelner Darsteller abgestimmt. Bei einem so hohen Niveau fühlt sich nach dem Verklingen des letzten Tons alles nach einem Heimspiel für „Pendelton“ an.

Die Jury war sich sehr schnell sehr einig, dass „WWW – #verwunschen und vernetzt“ und „Pendelton und die Theaterleichen“ die vielversprechendsten Finalisten des diesjährigen „Creators-Wettbewerbs“ waren. Und zwar aus komplett verschiedenen Gründen: „WWW“ war der kreativste Beitrag mit den pfiffigsten Dialogen und der abwechslungsreichsten Musik, aus dem sich viel machen lässt. „Pendelton“ war aufgrund des hohen Ausarbeitsgrades eigentlich schon fast fertig und man konnte sie sich problemlos schon sehr bald auf einer Stadttheaterbühne vorstellen. Doch zwei Sieger verkünden? Geht das?

Ja, es geht! Und so hat „Creators“ 2017 zwei Sieger hervorgebracht.

Auch die zweite Runde des „Creators“-Wettbewerbs hat gezeigt, dass in deutschsprachigen Autoren- und Komponistenköpfen noch viele Schätze schlummern, die das Tageslicht erblicken müssen. Dass es eine Fortsetzung des Wettbewerbes geben wird, verkündete Corny Littmann ebenfalls. Diese Info ging aber im Jubel der Gewinnerteams fast unter. Auf die Finalisten 2019 freut sich nicht nur die Jury aber schon jetzt!

Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: Schmidt Theater & Schmidtchen, Hamburg
Finale: 16. Oktober 2017
Fotos: Daniel Reinhardt für Morris Mac Matzen-Photography