home 2016 Gelungene, themen- und zielgruppengerechte Inszenierung

Gelungene, themen- und zielgruppengerechte Inszenierung

Das Junge Staatstheater Wiesbaden macht seit einigen Jahren mit interessanten, mutigen Musicalproduktionen von und für junge Menschen auf sich aufmerksam. Zu den Highlights der letzten Jahre gehört sicherlich die Weltpremiere von Paul Grahams Browns „Superhero“.

In diesem Jahr nahm sich Regisseurin Iris Limbarth Duncan Sheiks und Steven Saters Broadway-Hit „Spring Awakening“ vor. Als Spielstätte wurde die kleine Bühne in der Wiesbadener Wartburg auserkoren. Das Publikum sitzt an drei Seiten um die Bühne herum. Die Bühne selbst ist einfach gehalten, vier verschieden hohe Podeste und einige, kleinere Kulissen wie eine Schaukel und ein Klavier reichen, um verschiedene Szenarien zu schaffen. Übersäht ist das ganz in schwarz-weiß gehaltene Bühnenbild mit Bibelzitaten. Britta Lammers hat hier eine sehr passende Umgebung für das tragische Dramamusical geschaffen.

In Sachen Kostüme orientiert sich Heike Korn an der Zeit, in der Frank Wedekind seine Geschichte von Moritz und seinen Freunden angesiedelt hat. Und so tragen die Jungen vornehmlich kurze Hosen und Pullunder und die Mädchen wenig vorteilhafte Kleinmädchenkleider, ohne Ausschnitt und mindestens eine Handbreit unter dem Knie endend. Das sieht für den heutigen Betrachter etwas ungewohnt aus, passt jedoch hervorragend zum Stück.

„Frühlings Erwachen“ befasst sich mit den mannigfaltigen Problemen des Erwachsenwerdens. Moritz eckt immer wieder an, obwohl er sich Mühe gibt. Sein Freund Melchior ist das genaue Gegenteil bis er sich in seine Nachbarin Wendla verliebt. Hin-und hergerissen zwischen Gehorsam und Verliebtsein, gesteuert von überkochenden Hormonen treffen die Jugendlichen fatale Entscheidungen, die am Ende zum Tod von Moritz und Wendla führen.

Iris Limbarth gelingt es, die zerbrechlichen Charaktere mit Einfühlungsvermögen zu inszenieren. Sie gibt ihren jungen Darstellern viel Raum zur Interpretation, was zu einer sehr authentischen Interaktion zwischen den Figuren führt. Die Darsteller können die komplexen Rollen sehr gut mit Leben füllen – allen voran David Rothe als Moritz. Leicht schusselig in der Schule, um Anerkennung vom Vater bettelnd, hilfesuchend bei Melchiors Mutter und schlussendlich den Ausweg im Freitod suchend – Rothe zeichnet diesen Leidensweg absolut glaubhaft nach. Sein „Mach nicht auf traurig / Wer steht auf traurig?“ ist beklemmend gut umgesetzt.

Auch Christopher Hastrich weiß als Melchior zu überzeugen. Er besitzt die Fähigkeit, gesungene Emotionen auch hörbar zu machen. Sein schöner Tenor passt gut zu dem charakterlich eher sanften Melchior. Ebenso passend ist seine sehr weiche Mimik. Dass er auch anders kann, beweist er nachdrücklich mit „Im Arsch“.

Wendla, in die sich Melchior Hals über Kopf verliebt und mit der er erste körperliche Erfahrungen sammelt, wird von Lisa Krämer sehr authentisch gespielt. Ihr gelingt es gut, die Zwickmühle zwischen Neugier und mütterlichem Rat aufzuzeigen.

Hastrich und Krämer harmonieren als Paar sehr gut. Sie verfügen über eine beeindruckende Bandbreite an schauspielerischem Können und es gelingt ihnen, die Zuschauer vergessen zu lassen, dass beide (noch) keine ausgebildeten Musicaldarsteller sind.

Unterstützt werden die Jungschauspieler von zwei erfahrenen Kollegen: Felicitas Geipel u. a. als Wendla’s Mutter, Lehrerin Knüppeldick sowie Frau Gabor, und Peter Emig als Moritz strenger Vater, Schuldirektor Knochenbruch, Doktor von Brausepulver u. v. a. m. Die beiden Erwachsenen können sich in den verschiedenen Rollen austoben. Während sie als Lehrer eher wie Karikaturen aus „Wicked“ oder „Harry Potter“ wirken, können sie als besorgte und strenge Eltern punkten. Die Mimik von beiden ist herausragend und insbesondere Geipel hat bei dem Briefwechsel mit Moritz und nach Wendla’s ungewollter Schwangerschaft starke schauspielerische Momente.

Johannes Meurer und Dwayne Gilbert Besier kommt die Rolle zu, Hänschens Verführung durch Ernst nachzustellen. Dies gelingt ihnen sehr gut, auch wenn diese vorsichtig-stürmische Annäherung im überwiegend jungen Publikum zu einigen Lachern führt. Dennoch füllen die beiden ihren Rollen sehr gut aus.

Auch Josefine Deusch und Viktoria Reese interpretieren als Martha und Ilse „Was sich nicht erzählen lässt“ sehr gut.

So stark einzelne Charaktere in dieser Inszenierung auch sein mögen, wenn das komplette Ensemble bspw. „So’n verficktes Leben“, „Im Arsch“ oder das finale „Lied vom Wind des Sommers“ mit voller Energie singt, sorgen sie für Gänsehaut beim Publikum.

Das einzige, was so gar nicht zu dieser ansonsten rundum gelungenen Aufführung passen mag, sind die Choreographien, für die ebenfalls Iris Limbarth verantwortlich zeichnet. Schon in der Eröffnungsszene wirken diese holprig und unausgereift. Dabei sind sie nun wirklich nicht sehr anspruchsvoll, erinnern sie doch mehrfach an Aerobic-Videos der 1980er Jahre. Dies wiederholt sich beim Briefwechsel zwischen Moritz und Mutter Gabor genauso wie bei der rockigen Protestnummer „Im Arsch“. Sehr gern hätte man auch hier Abwechslung und etwas dem Alter der Protagonisten Angemessenes gesehen.

Doch abgesehen davon ist „Frühlings Erwachen“ nach „Superhero“ ein erneuter Beweis dafür, dass man mit Jungdarstellern etwas Großes schaffen kann, wenn man ihnen die richtige Anleitung (und davon nicht zuviel) gibt.

Michaela Flint

Theater: Wartburg, Wiesbaden
Besuchte Vorstellung: 18. Februar 2016
Darsteller: David Rothe, Christopher Hastrich, Lisa Krämer, Dwayne Gilbert Besier, Johannes Meurer, Peter Emig, Felicitas Geipel, Josefine Deusch, Viktoria Reese
Regie: Iris Limbarth
Fotos: Sven-Helge Czichy