home 2007 Gefühlschaos auf hohem Niveau

Gefühlschaos auf hohem Niveau

Auch wenn der 26. Februar ein eher untypischer Tag für eine AIDS-Benefiz-Veranstaltung ist, war das Schmidt Theater im Saal wie auf der Bühne gut gefüllt. Und mal ehrlich, es gibt keinen falschen Zeitpunkt, um immer wieder auf das Thema HIV aufmerksam zu machen. Das wurde auch in der Begrüßung von TV-Moderator Markus Tirok deutlich.

Bill Russels und Janet Hoods Song & Geschichten Revue ist 1989 entstanden – eine Zeit, in der AIDS erst langsam in das Bewusstsein der breiten Masse vordrang. 1989 war das Jahr, in dem Rock Hudson an AIDS starb.

In 43 voneinander unabhängigen Szenen erzählen Angehörige von AIDS-Kranken, wie sie damit konfrontiert wurden, wie ihre Umwelt auf die Krankheit reagierte und Männer und Frauen, die an AIDS gestorben sind, berichten aus der Retrospektive von ihren teilweise haarsträubenden Erlebnissen. Zusammengehalten werden alle Geschichten von dem imaginären Quilt, den Betroffene in den USA seit 1989 tatsächlich nähen.

Für jedes AIDS-Opfer wird dem Quilt ein individuell gestalteter Flicken hinzugefügt. Inzwischen hat dieser Quilt mehr als 40.000 Teile und es werden immer noch mehr.

Daniel Witzke, der schon mit so wertvollen Projekte wie „Die Letzten 5 Jahre“, die „December Songs“ von Maury Yeston und „Songs for a New World“ auf sich aufmerksam machte, hatte die Idee zu „Elegies for Angels, Punks and Raging Queens“ bereits im Sommer 2006. Der ursprünglich angepeilte Termin Anfang Dezember wurde zugunsten einer größeren Besetzung verschoben und so standen am 26. Februar 33 Musicaldarsteller, größtenteils bekannt durch Hamburger Produktionen, auf der Bühne. Verstärkt wurde dieses große Ensemble beim Finale vom Chor „MusicAlive“.

Das Publikum ging an diesem Abend durch ein Wechselbad der Gefühle. Während es nach den Gesangsnummern zumeist leicht fiel zu applaudieren, wollte sich diese befreiende Aktivität nach den Monologen nur selten einstellen. Zu beklemmend war die Schilderung von den Plänen zur eigenen Beerdigung, dem Wissen darum, dass man sein Kind mit dem todbringenden Virus angesteckt hat oder vollkommen schuldlos durch Ärztepfusch mit der Krankheit infiziert wurde.

Peinlich berührt rutschte man auf seinem Sitz hin und her. Die Leistung der Schauspieler und Sänger war intensiv und ging unter die Haut. Daran gibt es nichts zu deuteln. Mehr als einmal haben sich die Künstler so in ihre Rollen hineinversetzt, dass sie am ganzen Körper zitterten und Tränen in den Augen hatten.

Spätestens bei Caroline Spieß’ Auftritt als ältere Dame, die durch eine Bluttransfusion mit HIV infiziert wurde, ertappt man sich dabei, selbst die Vorurteile zu haben, dass diese Krankheit vor allem im Homosexuellen- und Drogen-Milieu zu finden sei. Dass jedoch genau dies nicht der Fall ist, machen Schilderungen von Susi Banzhaf und Masha Karell deutlich, die, durch Seitensprünge ihrer Männer infiziert, HIV an ihre Kinder weitergegeben haben und zusehen mussten, wie ein Familienmitglied nach dem anderen verstirbt.

Jemanden hervorzuheben, scheint unfair, doch einige Protagonisten und ihre Geschichten bleiben besonders fest im Gedächtnis haften.

Bill Russell und Janet Hood wollten mit dieser Revue für Aufmerksamkeit sorgen, das Bewusstsein für dieses allgegenwärtige Thema schärfen. Dies gelingt zweifellos und nachhaltig…

Die Übersetzung der Texte durch Daniel Witzke ist gelungen, wenn auch nicht besonders originell. Sicherlich hätte man durch eine dezidierte Wortwahl noch mehr Authentizität erreichen können. Hingegen seine Regie und das Staging auf der komplett in schwarz gehaltene Bühne funktionieren hervorragend. Durch gezielte Spots wurden die Solisten effektvoll ins Rampenlicht gesetzt. Diese Show brauchte keine bunten Special Effects, sondern überzeugte durch ihren Purismus.

Die musikalische Leitung für diese inhaltlich wie personell komplexe Revue lag in den Händen von Carsten Paap, der selbst an Keyboard agierend, mit der Unterstützung einer Cellistin und einer Harfenistin, für den puren, ergreifenden Sound sorgte.

Dieser Abend diente nur einem Zweck: AIDS wieder mehr in das Bewusstsein zu rücken. Das war allen Beteiligten wichtig und ist ihnen sehr gut geglückt. Es braucht kein Chi-Chi, um das Publikum auf hohem Niveau zu unterhalten. Solche Veranstaltungen kann und muss es gern mehr geben.

Im Fall von „Elegies for Angels, Punks and Raging Queens“ steht der nächste Aufführungstermin bereits fest: Am 28.Oktober wird es im Rahmen der „Musicalstars in Concert“ in Oberhausen eine weitere Vorstellung geben. Die Besetzung wird sich ändern, das Thema bleibt jedoch: AIDS geht uns alle an!

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Schmidt Theater, Hamburg
Premiere: 26. Februar 2007
Darsteller: Susi Banzhaf, Kai Bronisch, Jörg Hilger, Masha Karell, Jörg Neubauer, Carolin Spieß
Buch: Bill Russell / Janet Hood
Fotos: Schmidt Theater