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Open Air Zickenkrieg in Braunschweig

Auch das zweite Ergebnis des Kreativteams Nimschek / Kuropka / Damerow kommt im neu geschaffenen Musicaltheater im Braunschweiger Westand zur Aufführung: „Bürobiester“ lebt von der Kaltschnäuzigkeit der Firmeninhaberin Gloria, die „Wuffins“ (Snacks für Hund und Herrchen) mit unerbittlicher Hand führt. So hübsch pastellfarben die Einrichtung der Büroräume daherkommt (Bühne: Mathias Letzel), so frostig und dunkel ist der Umgangston. Kein Wunder, dass niemand der Mitarbeiter zur Geburtstagsfeier der Chefin erscheint. Kurzerhand entführen Gigi (Glorias Assistentin) und Gil (Marketingleiter) die unbedarfte Gudrun aus dem Schweigeseminar vor der Bühne (aka Publikum) und überzeugen sie mit 100 Euro, sich als Mitarbeiterin der Buchhaltung auszugeben. Damit sind immerhin drei Partygäste anwesend als Gloria zu „I got a feeling“ von den „Black Eyed Peas“ im Leo-Onesie auf dem E-Roller durch das Publikum ins Büro braust.

Für Franziska Kuropka, die das Buch gemeinsam mit Kathi Damerow geschrieben hat, ist Gloria eine Paraderolle. Sie ist unhöflich, arrogant, selbstherrlich und schroff zu allen Mitmenschen. Richtig fies und treffsicher unter der Gürtellinie. Solche Charaktere bringt Kuropka erfahrungsgemäß sehr glaubhaft rüber. Aber auch die Wandlung als sich am Ende alle Turbulenzen in Wohlgefallen auflösen, nimmt man ihr ab.

Gleiches gilt aber auch für Damerow, die als Gudrun eine 180° Kehrtwende hinlegt: Erst herrlich naiv, gutgläubig und ihrem Gunter vollständig hörig, entpuppt sie sich nach einem aus dem Ruder gelaufenen „Wahrheit oder Pflicht“ Spiel und einem von Gil und Gigi durchgeführten Make-Over als selbstbewusste „Gudrun-Bitch“, die es sogar mit Gloria aufnimmt.

Sagt sie am Anfang noch Sätze wie „Die Liebe von meinem Gunter ist wie eine Zwangsjacke – aber die kuschelige Variante!“ und singt Marianne Rosenbergs „Er gehört zu mir“, wird daraus später ein beeindruckendes „Born this way!“, bei dem Damerow die Bühne rockt und das Publikum sich vor Lachen kaum mehr halten kann.

Dass sowohl Gil und Gloria als auch Gigi und Gloria eine gemeinsame Vergangenheit haben, führt zu einigen lustigen Verwerfungen: Gloria und Gil waren mal beste Freunde und haben sich im Streit um die Firma, die sie gemeinsam aufgebaut haben, entzweit. Gil wird von Mario Saccoccio mit genau der richtigen Dosis an Trash und Menschlichkeit gespielt, die die Rolle des schwulen Marketing-Chefs verträgt. Es werden viele Klischees bedient. Dabei immer ernst zu bleiben, fällt auch den Darstellern auf der Bühne manchmal Mal schwer. Doch Saccoccios Interpretation von „She‘s as cold as ice“ (Foreigner) sucht an diesem Abend ihresgleichen! Auch die übersetzte Fassung von „Gloria“ bringt er unnachahmlich zu Gehör.

Allenfalls das völlig unerwartete „If I could turn back time“ (Tina Turner), in dem Gloria ihre Tochter Gigi (!) um Verzeihung bittet, kann da noch mithalten. So hat man Kuropka selten gehört!

Als Gigi erlebt das Publikum eine sehr engagierte Sarah Matberg als stets bemühte, aber stets versagende Assistentin. Ihr Kampf mit der durch ihren ersten Joint herbei-halluzinierten Monsterspinne ist superlustig! Auch bei dem Versuch, Gudrun ihren Gunter auszureden, denn „Männer sind Schweine“, glänzt sie. Highlight ist aber ganz sicher die Make-Over-Szene, in der sie mit Saccoccio allerlei überdimensionale Kosmetikartikel über die Bühne balanciert und mit einem Medley aus 80-Jahre Hitsongs das Publikum zum Mitfeiern bringt.

Apropos Musik: Die gewählten Songs erreichen das Publikum treffsicher. Es wird geklatscht und mitgesungen und am Ende feiern alle eine große Party zum Titelsong der Serie „Friends“ („I’ll be there for you“).

Die Choreographien stammen von Sven Niemeyer. Die Szene, in der er verbildlicht, dass Gunter Gudrun nicht liebt, sondern unterdrückt („Er gehört zu mir“), sowie „It’s a kind of magic“, wenn alle erfahren, dass Gudrun in die Zukunft schauen kann, ragen hier hervor. Auch der angedeutete Tango zu „Gloria“ ist sehr gelungen. Mit Saccoccio steht aber auch jemand auf der Bühne, der neben abwechslungsreichem Gesang und einem ausgeprägten Gespür für Komik auch noch ein großes Tanztalent besitzt.

Lustige Side Kicks wie der „Phantom der Oper“ Jingle, wenn die Lampe fast auf Gloria fällt, oder Choreographien, die an „Tanz der Vampire“ erinnern, lassen auch eingefleischte Musicalfans laut auflachen.

Bei diesen doch sehr klischeehaften Charakteren hatte Lukas Nimschek als Regisseur eher leichtes Spiel. Die vier Darsteller haben augenscheinlich Spaß an ihren überzeichneten Figuren, was sich direkt auf die Zuschauer überträgt. Nach 90 Minuten (Corona-konform ohne Pause) haben sich die Bürobiester (eigentlich ist ja nur die Chefin ein Biest) in kuschelige Büromietzen verwandelt, denen die gegenseitige Wertschätzung sehr am Herzen liegt.

„Bürobiester“ ist eine kurzweilige Musicalshow mit schrägen Charakteren, die einem so oder so ähnlich durchaus bekannt vorkommen. Gepaart mit den sehr abwechslungsreichen Songs aus den 1970ern bis heute ist sie ein Garant für einen unterhaltsamen Abend.

Michaela Flint
gekürzt erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: Westand Musical, Braunschweig
Besuchte Vorstellung: 17. Juli 2021
Darsteller: Sarah Matberg, Franziska Kuropka, Mario Saccoccio, Kathi Damerow
Regie: Lukas Nimschek
Fotos: CU2MRW / Westand Musical