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Musical-Kongress

Der 4. Musical-Kongress Ende August in Hamburg war der erste europäische Musical-Kongress. Sowohl auf der Musicalmesse als auch bei den Podiumsgesprächen waren neben den deutschen Ausstellern und Experten auch Teilnehmer aus den Niederlanden, Belgien, Österreich, Italien, Schweden, Tschechien und dem Musical-Mekka Großbritannien vertreten.

Das Leitthema des Kongresses zielte auf die europäische Zusammenarbeit ab: Welche Entwicklungen bringt die Zukunft für den europäischen Musicalmarkt mit sich? Gibt es überhaupt das „europäische“ Musical – im Gegensatz zu den erfolgreichen Broadway- oder West End-Produktionen? Lassen sich Netzwerk- und Lobbystrukturen zwischen dem West End und Kontinentaleuropa nutzen? Was erwartet das Publikum vom Medium Musical? Welche Anforderungen an die Künstler lassen sich hieraus ableiten?

Auch Fragen nach der generellen Laufzeit von Musicals und deren Inhalt („Muss es immer ein episches Drama sein?“) wurden eingehend – teilweise hitzig – vom Fachpublikum diskutiert. Es fanden Podiumsdiskussionen zu Themen wie „Europa – einig Musicalmarkt?“, „Die Musicalausbildung in Europa“, „Musicals als Kulturauftrag“, „Das britische Musical – eine Weltmacht“ und „Neue Wege der Autorenförderung“ statt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Musicalbranche in einem Umbruch befindet: Der große Boom ist vorbei – dennoch ist das Musical als Unterhaltungsform nicht mehr aus den Großstädten wegzudenken. Es hat eine immense Bedeutung als touristische Attraktion in Städten wie London, New York oder Hamburg.

„Exzellente Producer und Autoren haben zusammen mit einer sehr guten weltweiten Vermarktungsstrategie dazu geführt, dass das britische Musical als tonangebend in der Musicalwelt anerkannt wird.“ (Alexander S. Bermange, Londoner Komponist und Autor), dennoch ist auch das Londoner West End einem deutlichen Richtungswechsel ausgesetzt. Um die Veränderungen in die richtigen Bahnen zu lenken, forderte Marc Besson, Produzent bei Tabas&Co. in Belgien, offene Grenzen und einen aktiven Austausch an Musical Know-How zwischen den europäischen Ländern. Julian Woolford, Intendant Global Search for Musical in Cardiff ergänzte dies um die Aufforderung an die Producer, den Mut zu haben und das Risiko einzugehen, eine Show von jungen Nachwuchsautoren auf die Bühne zu bringen – ohne nur den Kommerz im Hinterkopf zu haben.

Die Experten waren sich einig, dass die langsam aufkeimende Zusammenarbeit der europäischen Länder intensiviert werden muss (Clive Paget, Intendant Bridewell Theatre, London: „Wir brauchen eine Organisation, die sich mit dem Aufbau und der Betreuung einer Allianz Europäischer Producer (nach amerikanischem Vorbild) kümmert!“), um die Vielfältigkeit des Musicalgenres noch mehr herauszuarbeiten. Die Förderung – insbesondere von angehenden Autoren und Komponisten – ist unerlässlich, um eben diese Vielschichtigkeit auch für unterschiedliche Nationalitäten zu gewährleisten.

In diesem Zusammenhang forderte Michael Kunze (Schriftsteller, Dramatiker, Texter) alle Stadttheater auf, Workshops mit Experten-Coachings zu veranstalten, bei denen sich Nachwuchsautoren ausprobieren und ihre Fähigkeiten verbessern können. Als Vorbild kann hier die Neuköllner Oper in Berlin dienen, die einen Autoren-Workshop für das kommende Jahr plant. Die Bedeutung von Autoren-Workshops wird deutlich, wenn man den Worten des schwedischen Musical-, Opern- und Schauspielregisseurs Georg Malvius Glauben schenkt, der noch einmal betonte, dass eine gute Story der Kern eines jeden Musicals und damit auch eine Grundvoraussetzung für dessen Erfolg ist.

Parallel zu den Expertengesprächen gab es ein umfangreiches Showprogramm, bei dem Tänzer, Sänger und Komponisten ihr Können zum Besten gaben. Hervorzuheben ist der junge, englische Komponist und Autor Alexander S. Bermange, der mit seinem Programm „Walking on the sun“ die Zuschauer zu großer Begeisterung hinriss. Neben seinen abwechslungsreichen, ohrwurm-gefährdeten Kompositionen trugen dazu auch die hervorragenden Darsteller – allen voran Felix Martin, Jeroen Aarts und Carolanne Wright – bei.

Auch die Benefiz-Versteigerung und -Verlosung von „Fans for Kids“ zu Gunsten krebskranker Kinder war ein Publikumsmagnet, was nicht zuletzt an Ralf Schaedlers unvergleichlicher Moderation und Überraschungsgast Ethan Freeman lag.

Die an den beiden Abenden aufgeführten Works in Progress gaben von einer Jury im Vorfeld ausgewählten Autoren, Komponisten und Sängern, die Möglichkeit, ihr Stück einmal vor einem „echten“ Publikum auszutesten. Eine einheitliche Tendenz ließ sich bei den acht vorgestellten Musicals nicht feststellen – wohl aber, dass man sich an problematische Themen heranwagt, die dann zum Teil sehr mutig – sowohl musikalisch als auch textlich – vertont werden.

Wenn man dem Applaus als Erfolgsbarometer trauen darf, kann haben Märchen für Erwachsene wie zum Beispiel „Hinter dem Spiegel“, „Lisarah“, „Galilei“ und „Zeit“ die besten Aussichten.

„Hinter dem Spiegel“ erzählt auf bewegende Art vom facettenreichen, aber bisher weitgehend unbekannten Leben von Charles Lutwidge Dodgson, alias Lewis Carroll, dem Autor von ‚Alice im Wunderland‘. „Lisarah“ ist ein sehr modernes Märchen über Liebe, Eifersucht und deren Folgen, welches durch sehr originelle Kompositionen überraschte. In „Galilei“ steigert sich der Student Steve so sehr in seine Pläne hinein, eine Rockoper über Galileo Galilei zu schreiben, dass er sich plötzlich selbst im 17. Jahrhundert wieder findet und Galileis Lebensweg begleitet. „Zeit“ ist schließlich die Geschichte von Henry Wintersong, einem alten Uhrmacher, der von der Suche nach dem großen Geheimnis der Zeit besessen ist. Er öffnet die sprichwörtliche Büchse der Pandora in Form einer alten Taschenuhr und lernt im Folgenden auf zum Teil schmerzvolle Weise sehr viel über sich und das Leben.

Alles in allem bot der Musical-Kongress eine geeignete Plattform, um Kontakte zu knüpfen, Neues kennen zu lernen und einen – allerdings sehr vagen – Blick in die Zukunft des deutschen Musicals zu tun. Der 4. Musical-Kongress war interessant und informativ und hat zahlreiche neue Denkanstöße vermittelt. Damit erfüllte er die Hauptkriterien, die an einen Fachkongress zu stellen sind.

Michaela Flint

Theater: Curio Haus, Hamburg
Fotos: Kirsten Dannemann