home 2004 Das „Rock Theatrical“ aus London erobert Deutschland

Das „Rock Theatrical“ aus London erobert Deutschland

Die weltbekannten Melodien von Queen wurden vor drei Jahren von Ben Elton in eine futuristische Geschichte um das Fortbestehen der Kunstform „Musik“ verpackt. Seit der Weltpremiere in London im Mai 2002 haben mehr als 2 Millionen Besucher die Heldengeschichte von Galileo Figaro und seiner Scaramouche gesehen. Auch in Australien, Spanien, Russland und den USA (Las Vegas) erfreuen sich zahlreiche Zuschauer an dieser „Best of Queen“-Show. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis dieses Hitmusical nach Deutschland kommt.

Seit 12. Dezember 2004 rocken mehr als 30 Darsteller nun den Kölner Musical Dome. Es grenzt schon fast an ein Wunder, dass Michael Brenner schneller war im Lizenz-Sichern als die allgegenwärtige Stage Holding. So etwas nennt man dann wohl einen gekonnten Glücksgriff. Denn seitdem das Stück im blauen Zelt angelaufen ist, werden laut Geschäftsführer Brenner täglich 8.000-10.000 Tickets verkauft. Das ist ein Rekord, von dem der Hamburger Musical-Großkonzern trotz „Mamma Mia!“ und dem „König der Löwen“ nur träumen kann.

Aber genug vom Geschäftlichen, kommen wir zum Kern des Stücks: Bei einem Musical mit Queen-Beteiligung ist klar, dass die Musik im Mittelpunkt steht und die Handlung nur Nebensache ist. Bei Ben Eltons Bühnenwerk geht es dann  um eine abstruse Geschichte, die sich in 300 Jahren zuträgt und von den Hauptfiguren Galileo Figaro, Scaramouche, Killer-Queen und Commander Khashoggi handelt. Die Namen kommen Ihnen bekannt vor? Kein Wunder, sie sind alle auf die ein oder andere Weise aus Texten der legendären Rockband Queen entnommen.

Schon bei den ersten Klängen der Ouvertüre weiß man genau, wo man sich befindet. Die Akustik im blauen Zelt ist einsame Spitze, so dass sofort Rockkonzert-Atmosphäre herrscht und das Publikum enthusiastisch mitklatscht, -tanzt und in einiger Fällen sogar mitsingt.

Im Mittelpunkt des Geschehens stehen die beiden Kontrahenten Killer Queen und Galileo. Beide kämpfen für ihre Sache (ohne sich je zu begegnen), nur dass diese sich nicht vereinbaren lassen. Killer Queen ist die Vorsitzende der in Sachen Musik einzig bestimmenden Institution, Globalsoft, die mit ihren Infiltrierungsmechanismen in alle Gesellschaftsbereiche vorgedrungen ist: Englisch wurde als „alte Sprache“ genauso verboten, wie aktives Musizieren. Musik kommt in Form von Elektropop nur noch in genau dosierten Portionen von Globalsoft. Freies Tanzen ist ebenso verpönt wie kreative Kleidungswahl: Die „Ga-Ga-Kids“ sehen alle gleich aus und bewegen sich absolut synchron zur angebotenen Musik.

Mit Brigitte Oelke wurde die perfekte Besetzung für die machtbesessene Killer Queen gefunden. Ihre einschüchternde Ausstrahlung und ihre raumgreifende Bühnenpräsenz machen deutlich, dass sie keinerlei Konkurrenz duldet. Sie Commander Khashoggi (Martin Berger) am Gängelband und gefällt sich sichtlich in der Rolle der Chefin. Nun lässt sich Berger alias Khashoggi allerdings sehr leicht herumkommandieren und hat der übermächtigen Oelke  gesanglich nichts entgegenzusetzen. Das große Duett des beiden („It’s A Kind Of Magic“) ist mit der Hubbühnenkonstruktion großartig inszeniert und macht deutlich, wer auf „Planet e.bay“ das Sagen hat. Beide zeigen – wenn auch nur ganz kurz – schwache Momente, wenn sie im zweiten Akt „Don’t Stop Me Now“ anklingen lassen.

Dem Machthaber-Paar stehen einige versprengte Bohemians gegenüber, deren Aktionen ohne Anführer jedoch wirkungslos verpuffen. Sprecher der Gruppe von Aussätzigen ist Dieter Bohlen (Harald Tauber). Ja, richtig verstanden.

Die Bohemians haben sich alle die Namen ihrer Idole gegeben und in der deutschen Fassung kommt dann eben so etwas wie Dieter Bohlen, Jeannette Biedermann oder Nena heraus. Diese inhaltlichen Plattitüden (andere nennen es ironischen Wortwitz) werden vor allem im 2. Akt sehr penetriert und sind dem musikalischen Genuss etwas abträglich. Die Frage, ob dieses von Jörg Ingwersen kreierte Bildzeitungs-Niveau in einem erfolgreichen West-End-Export erforderlich ist, muss jeder für sich selbst beantworten. Die breite Masse kann es entweder ausblenden oder sich daran erfreuen, so dass es den Gesamteindruck nachhaltig kaum schmälert.

Die deutschen Songtexte (vor allem im ersten Akt) von Wolfgang Adenberg sind das genaue Gegenteil der Dialoge: Sie passen sich den Melodien so gut an, dass es kaum einen Unterschied macht, ob deutsch oder englisch gesungen wird. An dieser Art zu adaptieren kann sich manch ein Musical-Übersetzer ein Beispiel nehmen.

Doch wieder zurück zum Bühnengeschehen: Die Bohemians kämpfen gegen die schier übermächtige Globalsoft für musikalische Freiheit. Galileo (Alex Melcher) und Scraramouche (Vera Bolten) geraten eher zufällig in die Gruppe als sie J. B. (David-Michael Johnson) und Ozzy (Michaela Kovarikova) auf einem Schrottplatz über den Weg laufen. Schon in dieser ersten gemeinsamen Szene zeigen die vier, dass sie echte Rockröhren haben und heizen die Stimmung im Zelt so richtig an.

Galileos „Gabe“, Textzeilen aus alten Queen-Songs zu hören, macht den eigentlich sehr schüchternen Naivling ungewollt zum Hoffnungsträger. Doch noch bevor es so richtig losgeht, greifen die „GaGa-Polizisten“ ein und brennen allen Bohemians das Gehirn weg. Lediglich Galileo und Scaramouche können sich rechtzeitig in Sicherheit bringen. Auf ihrer Suche nach „dem Zeichen“ begegnen sie Bap (James Sbano), einem alten Barkeeper, dem man seine vermeintliche Verschrobenheit gelassen hat. Doch hinter seiner schusseligen Fassade sind Erinnerungen an früher wach geblieben und so führt Bap die beiden jungen Leute nach London, den Ort des „Living Rock“. Dorthin, wo einst die Wembley Arena stand. Nur der wahre Held vermag das einzige auf Erden verbliebene Musikinstrument, „die mächtige Axt eines großartigen und langhaarigen Gitarren-Gottes“, zu entdecken.

Nach einem Fehlstart, der durch Galileos Unentschlossenheit Vorschub bekommt, gelingt dies schließlich und in einer der beiden Torsäulen kommt Brian Mays Gitarre zum Vorschein.

Zufälligerweise kann die kleine Scaramouche damit sehr gut umgehen und improvisiert mit dem zutiefst eingeschüchterten Galileo „We Will Rock You“. Die Welt scheint vom Fluch der Killer-Queen und ihrer Globalsoft erlöst: Alle zuvor durch Stromstöße außer Gefecht gesetzte Bohemians finden ins aktive Leben zurück und eine Riesenparty beginnt, an deren Schluss die vom Publikum frenetisch eingeforderte „Bohemian Rhapsody“ steht.

Alex Melcher, der sich die Hauptrolle mit Serkan Kaya (Lucheni in „Elisabeth“, Wien) teilt, gibt einen hervorragenden Galileo: überzeugend schüchtern und zurückhaltend im zwischenmenschlichen Bereich, ausdrucksstark und kraftvoll im Gesang. Er versteht es, die beiden Herzen in der Brust von Galileo schlagen zu lassen. Zum Finale darf der rockende Musical-Darsteller (u. a. Lucheni in „Elisabeth“, Essen) so richtig aufdrehen und wird regelrecht zu einer „Rampensau“. Melchers Energie steckt jeden Zuschauer an und macht aus dem Zelt am Kölner Dom ein Partyzelt.

Vera Bolten wirkt in der Rolle der Scaramouche deutlich glaubhafter und sicherer als zuletzt als Eponine in „Les Misérables“ im Theater des Westens. Während ihre leicht quäkige Stimmfärbung Geschmackssache bleibt, spielt sich mit ihrer freakigen und frechen Art problemlos in die Herzen der Zuschauer. Sie wirbelt über die Bühne und behauptet jedem gegenüber ohne jeden Respekt ihren Standpunkt.

David-Michael Johnson (als J. B. alias Jeannette Biedermann) Michaela Kovarikova (Ozzy) geben auf der Bühne ein tolles Paar ab. Mit viel Sex-Appeal und ausgereiften Stimmen stellen die beiden ihr umfangreiches Können unter Beweis.

Die Mitarbeiter und kreativen Köpfe hinter der Bühne haben ganze Arbeit geleistet, um „We Will Rock You“ in Deutschland zu einem Erfolg zu machen. Moderne Videoprojektionen ergänzen größere Bühnenbauten und schaffen so eine Atmosphäre von hoch technisierter Zukunft oder dem Wohnraum der Aussätzigen des Systems. Die Kostüme sind mal verspielt und originell „zusammengeflickt“ wie beispielsweise bei den Bohemians. Aber auch die Kleidung der „anderen Seite“ kann sich sehen lassen: Brigitte Oelke wird in wunderbare Stoffe gehüllt, die die „Waffen einer Frau“ und ihre Dominanz als Herrscherin des „Planeten e.bay“ gleichermaßen unterstreichen. Und die synchronen, langweiligen Ga-Ga-Kids sind gar nicht so öde, wie es auf den ersten Blick erscheint. Hier hat sich die Kostümabteilung verschiedene originelle Ansätze ausgedacht, die nur durch kleine Details den Unterschied erkennen lassen.

Ein sonst häufig kaum beachtetes Moment des Musiktheaters steht in dieser Produktion im Mittelpunkt, selbst wenn man sie während der ganzen Show nicht ein einziges Mal sieht: Die sechsköpfige Band unter der Leitung von Ethan Popp spielt lupenreinen Rock in CD-Qualität. Damit huldigen sie gemeinsam der Arbeit einer der bekanntesten Rockband der Musikgeschichte. „We Will Rock You“ ist keine Freddie Mercury Gedenkshow, davon gibt es schon zu viele und keiner kommt an das Original heran. Nein, vielmehr ist das Musical, das unter der aktiven Mitarbeit von Brian May und Roger Taylor entstand, ein Fest für alle Queen-Fans, bei dem man aufgrund der ausgezeichneten Umsetzung in Köln eine Gänsehaut nach der anderen bekommt. Die CD zur Produktion erscheint in den nächsten Wochen und wird bei dieser ausnahmslos sehr guten Besetzung von Hauptrollen, Ensemble und Band ein musikalischer Hochgenuss werden.

Viele versuchen auf den Zug der Hitsong-Musicals aufzuspringen. Nur wenigen gelingt es. „We Will Rock You“ ist eines der positiven Erlebnisse dieser Gattung.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Musical Dome, Köln
Premiere: 12. Dezember 2004
Darsteller: Vera Bolten, DMJ, Aley Melcher, Brigitte Oelke
Regie / Musik: Ben Elton / Queen
Fotos: Hardy Müller