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Love Never Dies

Meisterhaft gefilmtes Musiktheater für zuhause!

Was Brett Sullivan und Michael Lloyd im September 2011 im Melbourne Regent‘s Theatre vollbracht haben, ist bemerkenswert.

Von der ersten Sekunde an fühlt man sich nicht als Zuschauer, der die Handlung in einer Guckkastenbühne verfolgt, sondern ist mitten im Geschehen dabei. Clevere Kamerafahrten machen die Handlung greifbar, perfekt dosierte und platzierte Nahaufnahmen heben die Distanz zu den Charakteren auf.

Trotz des Live-Mitschnitts gibt es keine sichtbaren Zuschauer; Applaus hört man nur nach dem Finale. Auch diese intelligente Entscheidung zeichnet die Verfilmung des „Phantom der Oper“-Sequels aus.

Hinzu kommen ein sehr charismatischer Hauptdarsteller und ein energetisches Ensemble, die zu unerwartet poppigen Andrew Lloyd Webber Klängen das Coney Island der letzten Jahrhundertwende zum Leben erwecken.

Knapp zwei Jahre nach der Londoner Uraufführung, und damit unerwartet früh, bringt Andrew Lloyd Webber eine Live-Aufnahme der kompletten australischen Produktion in die Läden.

Die australische Fassung wurde gegenüber der Londoner Version optisch überarbeitet und fällt damit deutlich opulenter aus. Auch akustisch lässt es die abgefilmte Fortsetzung des Musical-Klassikers „Das Phantom der Oper“ an nichts vermissen. Operettenhafte Klänge stellen hier lediglich den Querbezug zum ersten Teil her; „Love Never Dies“ hingegen besticht durch poppige Rhythmen, auch E-Gitarren sind das ein oder andere Mal zu hören.

Die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Show könnten also besser kaum sein. Doch worum geht es eigentlich? Warum  musste Andrew Lloyd Webber die tragische Geschichte vom Phantom der Pariser Oper wieder aufgreifen und eine Fortsetzung schaffen? Diese Fragen beantwortet der erfolgreiche Musicalkomponist in einen ausführlichen Interview.

Inspiriert von Frederick Forsyths „Das Phantom von Manhattan“ und mit der tatkräftigen Unterstützung von Glenn Slater und Ben Elton erzählt Andrew Lloyd Webber die Geschichte über das Leben der bekannten Hauptakteure 10 Jahre nach den dramatischen Ereignissen in der Pariser Oper. Hierbei rücken die Kreativen weit von Gaston Lerouxs ursprünglicher Vorlage ab; es gelingt ihnen aber dennoch, eine in sich schlüssige, kurzweilige Handlung zu kreieren.

Das Phantom hat sich mit der Unterstützung von Mme Giry und deren Tochter Meg nach New York geflüchtet und leitet dort als „Mister Y“ das magisch-mysteriöse Theater „Phantasma“ auf Coney Island.

Raoul hat sich verspekuliert und nimmt daher das Angebot von Hammerstein an, der Christine für ein Konzert an eben jenem Theater  engagiert. Schon bei der Ankunft in New York begegnet das Paar vielen seltsamen Gestalten und Christine kann die Neugierde ihres Sohns Gustave kaum bändigen.

Kurze zeit später lockt das Phantom Raoul unter einem Vorwand aus der Suite des Paares und es stellt sich heraus, dass er dieses Engagement eingefädelt hat, um Christine wieder zu sehen und sie noch einmal singenzu hören. Christine lehnt ab und das Phantom erpresst sie, indem er ihre Familie bedroht, wenn sie ihm diesen einen Gefallen nicht tut. Was das Phantom zu diesem Zeitpunkt nicht ahnt, ist, dass Gustave sein Sohn ist…

Christine versucht, sich gegen das Phantom und ihre wieder aufflammenden Gefühle zu wehren. Doch sie kann sich seinem Einfluss nicht entziehen. Als Raoul merkt, wer tatsächlich hinter diesem Engagement steckt, übermannt ihn die Angst, Christine zu verlieren und er ertränkt seinen Kummer im Alkohol. Währenddessen zeigt das Phantom dem neugierigen Gustave die Katakomben des Theaters, um dort festzustellen, dass das Kind seine Musikalität und Christine Lebensfreude perfekt vereint. Das Phantom spürt tief in sich, dass sein Leben nicht umsonst war, wenn er so etwas wundervolles wie diesen Jungen erschaffen konnte.

Als Meg Giry ihrer Mutter erzählt, dass Christine die große Arie singen soll, für die sie, Meg, so lange geprobt hat, überwiegt bei beiden die Enttäuschung und Eifersucht auf die unzerstörbaren Bande zwischen dem Phantom und Christine.

Raoul stellt Christine ein Ultimatum und setzt sie damit ungebührlich unter Druck. Sie möchte ihr Familienleben gern retten und versucht, sich gegen die Überzeugungskraft des Phantoms zu wehren. Doch sie erliegt dem sehr menschlich gewordenen Phantom und verfällt ihm erneut.

Das Finale bildet die Suche aller nach dem plötzlichen verschwundenen, tatsächlich jedoch von Meg entführten, Gustave. Im finalen Gerangel löst sich ein Schuss aus Megs Pistole, der die Liebe vom Phantom und Christine für immer unsterblich macht.

Was bei „Love Never Dies“ als erstes angenehm auffällt, ist, dass auf verwirrende Nebenhandlungen gänzlich verzichtet wird. Es geht einzig und allein um die nie erloschene Liebe zwischen Phantom und Christine. Dass diese Liebe Raouls Herz brechen lässt und Meg Giry vor Neid nicht mehr ein noch aus weiß und schlussendlich die Zukunft auf den Schultern des kleinen Gustave lastet, fügt sich perfekt in das Gesamtbild.

Die Rolle des Phantoms ist viel facettenreicher als im Prequel und gibt dem jeweiligen Darsteller viel mehr Möglichkeiten, aus dem vermeintlichen Monster einen gefühlvollen Menschen zu machen. In Melbourne – und damit auch auf dieser DVD – wurde das Phantom von Ben Lewis gespielt. Der Sänger und Schauspieler scheint für diese Rolle perfekt aufgestellt zu sein, verfügt er doch über eine mimische und gesangliche Bandbreite, die ihresgleichen sucht. Man versteht, warum das Phantom so handelt; man glaubt ihm die tiefe Liebe zu Christine Daaé und als er sich in Gustave wieder erkennt, möchte man ihm versöhnlich die Hand reichen und ihm helfen, sich aus seinem dunklen Dasein zu befreien.

Stimmlich klettert Lewis scheinbar spielend von den bedrohlichsten Tiefen in die schmerzerfülltesten und einfühlsamsten Höhen. So viel Gefühl erlebt man auf einer Musicalbühne nicht oft. „Til I hear you sing“ und „The beauty underneath“ sind nur zwei Beispiele, die einem Tränen des Mitleids in die Augen treiben.

Anna O‘Byrne gibt die zwischen zwei Männern hin- und hergerissene Christine Daaé. Sie hat bereits zuvor auf der Australien-Tour vom „Phantom of the Opera“ als Christine auf der Bühne gestanden, konnte also die komplette Entwicklung der jungen Frau nachzeichnen. Sie überzeugt als liebende Mutter genauso wie in ihren Diskussionen mit Raoul und Phantom. Auch die unterschwellige Liebe für beide Männer ist spürbar.

Als Sopran verfügt sie über das nötige Grundhandwerk, um diese Rolle gesanglich auszufüllen. Herausragend sind hierbei das Duett mit Gustave „Look with your heart“ und der Titelsong „Love never dies“.

Simon Gleeson kommt die undankbare Rolle des gehörnten Ehemanns Raoul zu. Auch wenn seine Gesangsduelle mit dem Phantom („Devil take the hindmost“) durchaus beeindrucken, bleibt er letztlich sowohl schauspielerisch als auch gesanglich doch eher blass im Vergleich mit den beiden anderen Hauptdarstellern.

Bleiben noch Maria Mercedes und Sharon Millerchip, die als Mme und Meg Giry rollendeckend agieren, sich aber nicht nachhaltig im Gedächtnis festsetzen. Die wenigen Szenen, in denen sie mit auf der Bühne stehen, bringen die Handlung nicht wirklich voran – selbstverständlich mit Ausnahme des Finales.

Dass sich das Autorenteam so sehr auf die Charaktere des Phantoms und Christines fokussiert, macht die Handlung einerseits sehr intensiv, andererseits gerät die Ausarbeitung der Nebenfiguren derart in den Hintergrund, dass man sich manchmal fragt, warum sie überhaupt noch einen Namen bekommen haben.

Musikalisch überrascht „Love Never Dies“ durchaus. Andrew Lloyd Webber hat sich passend zur Umgebung der Handlung von Opern und Operetten verabschiedet und serviert stattdessen poppige Uptempo-Nummern, voluminöse Balladen sowie einige Rockstücke, die stark an „Jesus Christ Superstar“ erinnern. Dass er sich bei neuen Musicals gern an seine alten Erfolge erinnert, zeigt vor allem die Titelmelodie: „Love never dies“ ist eine 1:1-Kopie von „Our kind of love“ aus dem leider nur mäßig erfolgreichen „The Beautiful Game“ (September 2000 – September 2001, London). Derartige Griffe in die eigene Kompositions-Schublade sind sicherlich statthaft und nachvollziehbar, zumal, wenn sie wie in diesem Fall, zu einem so gelungenen Ergebnis führen.

„Love Never Dies“ wurde in London nur von März 2010 bis August 2011 gezeigt – erneut eine sehr kurze Laufzeit für ein neues Lloyd Webber Musical. Von Mai bis Dezember 2011 spielte das Stück in Melbourne und wurde danach für drei Monate nach Sydney transferiert. Ob und wann die Show am Broadway zu sehen sein wird, steht noch nicht fest.

Umso erfreulicher ist diese frühzeitige DVD-Version, die sicherlich ein breiteres Publikum erreichen wird, als die wenigen Bühnenfassungen. Wie bereits erwähnt, handelt es sich nicht um ein bloßes Abfilmen des Bühnengeschehens, sondern zahlreiche Kameras folgen den Darstellern auf der Bühne und zeigen die tragische Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln.

Viele Details der beeindruckenden Szenerie werden durch diese Kamerafahrten in den Vordergrund gerückt: Die skurrilen Gestalten im Glaspyramiden-Gruselkabinett des Phantoms, die bunten Gaukler im Phantasma, die farbenfrohen Kostüme der Tänzerinnen und Tänzer, usw. Bob Crowley hat mit seinen Kulissen und Kostümen eine berückende Welt erschaffen, in die sich jeder gern flüchten würde, um sich für einige Zeit zu verstecken.

Man bekommt mehr als einen guten Eindruck von diesem Musical und ich kann nur hoffen, dass dieses Stück erneut seinen Weg in ein europäisches Theater finden wird – vom Broadway ganz zu schweigen.

Michaela Flint

Regie / Kamera: Brett Sullivan / Michael Lloyd
Darsteller: Simon Gleeson, Ben Lewis, Maria Mercedes, Sharon Millerchip, Anna O‘Byrne
Musik: Andrew Lloyd Webber
Verleih / Fotos: Universal Pictures International