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Mary Poppins

Eine schöne Erinnerung an einen gelungenen Theaterabend

Lange hat es gedauert, bis das zauberhafte Familienmusical „Mary Poppins“ seinen Weg vom West End in den deutschsprachigen Raum geschafft hat. Erst volle 10 Jahre nach der Uraufführung (Bristol) und nach fünf- bzw. achtjährigen Spielzeiten in London und New York, hob sich am 1. Oktober 2014 im Wiener Ronacher der Premierenvorhang.

Der Haus- und Hoflieferant der Vereinigten Bühnen Wien, Hit Squad Records, hat auch für diese Produktion ein Live-Album

produziert, dem es an nichts fehlt. Die Erfahrung macht sich vor allem im satten Klang des 17-köpfigen Orchester (Leitung Koen Schoots) bemerkbar. Auch die Applauspausen bzw. der Auftaktapplaus zu Beginn einiger Songs hält sich angenehm in Grenzen.

Damit können diejenigen glänzen, die einem Musical Leben bzw. Stimme einhauchen. In diesem Fall sind dies Annemieke van Dam als Mary Popins, David Boyd als Bert, Reinwald Kanner als Mr. Banks, Milica Jovanovic als Mrs. Banks, Maaike Schuurmans als Mr. Banks früheres Kindermädchen Miss Andrew sowie Sandra Pires als Vogelfrau. Ebenfalls zu hören sind Fiona Bella Imnitzer und David Paul Mannhart als Jane und Michael Banks.

Richard M. und Robert B. Shermans Kompositionen haben viel Schwung, den die Sängerinnen und Sänger durchweg sehr gut mitnehmen und über die Rampe bzw. durch die Lautsprecher bringen. Van Dam intoniert die Mischung von liebevoller Mary und strengem Kindermädchen perfekt, denn die musicalische Mary Poppins ist bei weitem nicht so süßlich wie Julie Andrews im gleichnamigen Film. Die Mary Poppins auf der Bühne hat durchaus auch harte Charakterzüge. Während sie bei „Völlig ohne Fehler“ vor Selbstbewusstsein nur so strotzt, legt sie in „Spielt Euer Spiel“ eine beeindruckende Strenge an den Tag, die sie bei „Supercalifragilisticexpialigetisch“ in überbordende Energie umwandelt. Als Lebenskünstler, Schornsteinfeger, Straßenmaler usw. ist David Boyd zu hören. Seine englischsprachige Herkunft kann er leider nicht verbergen, so dass einmal mehr die Frage gestattet sein muss, ob es nicht auch in Reihen deutscher Muttersprachler geeignete Kandidaten für diese Rolle gegeben hätte. Zugegeben, er sing sehr charmant und man hört förmlich das Blitzen in seinen Augen, wenn er eine neue Idee präsentiert. Natürlich singt er aber mit Hits wie „Chim Chim Cher-I“ und „Drachensteigen“ auch die dankbarsten Nummern des Stücks.

Reinwald Kanner gibt den zunächst unerbittlichen Mr. Banks sehr glaubhaft, obwohl man die verborgene nette Seite schon zu erahnen vermag. Gute Beispiele hierfür sind „Korrektheit und Ordnung“ bzw. „Ein jeder Mann“. Mit schönen Soli glänzen Milica Jovanovic, die jeden verstehen lässt, warum es so schwer ist „Mrs. Banks zu sein“, sowie Sandra Pires als Vogelfrau. Auch Maaike Schuurmans holt aus ihrer kleinen Rolle das Möglichste heraus: Schon allein vom Zuhören möchte man dieses Kindermädchen auf keinen Fall in seinem Haus haben!

Die deutschen Texte von Wolfgang Adenberg sind wie maßgeschneidert, nirgends ist ein Holperer zu entdecken. Das gilt für die verarbeiteten Filmhits genauso wie die neun für dieses Musical von George Stiles (englische Texte Anthony Drewe) hinzukomponierten Stücke. Diese fügen sich so gut ins Gesamtbild ein, dass man am Ende zwischen „Drachensteigen“ und „Völlig ohne Fehler“ hin- und herspringt und man nicht zu sagen vermag, wer denn der jeweilige Komponist ist.

Das Live-Album von „Mary Poppins“ ist einmal mehr ein Beleg dafür, dass englischsprachige Musicals mit einer guten Adaption der Texte sowie Darstellern, die sich in ihre Rollen hineinfühlen können, eine wahre Bereicherung für die deutsch-österreichische Musicallandschaft sind.

Michaela Flint