home 2010 Lang, düster und unspektakulär

Lang, düster und unspektakulär

Man durfte sich schon ein wenig wundern als das Theater Lübeck den Musical-Klassiker „Anatevka“ auf den Spielplan 2010/2011 setzte – zudem noch ohne einen namhaften Musicaldarsteller als Gast in einer Hauptrolle.

Während „The Fiddler on the Roof“ – so der englische Titel von „Anatevka“ – in den letzten Jahren in London und auch am Broadway sehr erfolgreich gespielt wurde, findet man das Jerry Bock Stück auf deutschen Spielplänen eher selten. Zu langatmig, zu unmodern ist die Handlung.

In Lübeck sah man die Chance, die Klassiker zu entstauben und die traditionsreiche Handlung einem zeitgenössischen Publikum schmackhaft zu machen. Leider nutzte Regisseur Jürgen Pöckel diese Gelegenheit nicht und inszenierte „Anatevka“ in klassischem Gewand: dunkle Grundstimmung auf der Bühne, grau-braunes Kostümdesign, langweilige Choreographien, gesichtslose Personenregie und mit der großen Statisterie des Theaters Lübeck streckenweise viel zu viele Menschen ohne Aufgabe auf der Bühne.

Die Albtraumszene im ersten Akt wirkte hier wie ein Störenfried und wollte so gar nicht zum Rest der Szenenbilder passen.

Am stimmigsten wirkte am Premierenabend noch das Lichtdesign, obwohl man sich auch hier fragen musste, wie rote Blitze zu den rollbaren Metallgestellen passen sollten, die die Häuser der Dorfbewohner repräsentierten.

Eine Lanze brechen muss man bei der diesjährigen Musicalpremiere in Lübeck für das Orchester unter der Leitung von Ludwig Pflanz. Oft genug gescholten, da es an Intensität fehlte, hinterließ die Musik von allen musicalischen Gewerken den besten Eindruck.

Die hauseigenen Darsteller agieren allesamt rollendeckend, aber niemand spielt sich nachhaltig in Gedächtnis. Auch wollen die meist klassisch ausgebildeten Stimmen nicht so recht zu Jerry Bocks Melodien passen.

Allein der 1. Akt zog sich mit 1:45 Std. arg in die Länge. Die spärliche Handlung hätte zweifelsohne auch in der Hälfte der Zeit mit einem viel intensiveren Spannungsbogen erzählt werden können. Die Aussicht auf einen weiteren langatmigen 90-minütigen 2. Akt ermutigte einige Premierengäste das Theater zu verlassen. Auch ich gehörte dazu.

Es ist sehr schade, dass Lübeck mit seiner Wahl des diesjährigen Musicals nicht an die Erfolge der letzten Jahre anknüpfen kann. Die sehr gut etablierte Musicalsparte des Großen Theaters hat mit „Anatevka“ eindeutig einen Rückschritt gemacht. Bleibt nur die Hoffnung, dass das Theater Lübeck in der kommenden Spielzeit wieder auf den erfolgversprechenden Weg zurückfindet.

Michaela Flint

Theater: Theater Lübeck
Premiere: 3. Oktober 2010
Darsteller: L. Ackermann, Steffen Kubach, B. Vorwerk, R. Wollrad
Musik / Text: Jerry Bock / Sheldon Harnick
Fotos: Theater Lübeck