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New Yorker Alltag mal anders

Das Theater Hagen hat schon in der Vergangenheit bewiesen, dass es Musicals ansprechend auf die Bühne bringen kann. In dieser Spielzeit steht Robert Lopez und Jeff Marx nicht ganz jugendfreie Musicaldramödie “Avenue Q“ auf dem Programm. Neben zwei erfahreneren Musicaldarstellern stehen in dieser Produktion vorrangig Nachwuchsdarsteller auf der Bühne. Und sie machen ihre Sache wahrlich gut.

Zu Anfang irritiert es ein wenig, dass die Darsteller in ähnlichen Kostümen zu sehen sind wie ihre Handpuppen Alter Egos. Dennoch springt der Funke schon bei „Es kotzt mich so an“ (im Original „It sucks to be me“) auf das erwartungsvolle Publikum über.

Goldig und vor Klischees nur so triefend sind Rodney’s Vorlieben für Gemälde von Michelangelos Statuen nackter Männer sowie sein Studium der Geschichte des Grand Prix Eurovision de la Chanson. Da findet es nicht nur Nicky „okay, wäre er gay“.

Zwischendurch werden einzelne Begriffe, wie bspw. „Bestimmung“, „Berufung“ oder „Commitment“ mithilfe von Cartoons näher erläutert. Der Sinn hinter diesen Einblendungen erschließt sich nicht ganz. Man hätte darauf auch ohne größere inhaltliche Verluste verzichten können.

Bei diesem Stück sollte man nicht nur genau auf die Songtexte (Roman Riklin) und Dialoge (Dominik Flaschka) achten. Auch szenische Details wie die singenden Kartons, von denen keiner dem anderen gleicht, sind sehr gelungen. Auch die hinterlistigen Bullshitbären oder Lucy’s beeindruckendes EKG (Wellen in Brustform) gehören zu den netten Einfällen in Hagen.

Kate Monsters Vorsatz, ihren Kindergartenkindern etwas über das Internet beizubringen, mündet im Showstopper „The Internet is for Porn“ von Trekkie Monster (Maciej Bittner). Erwartungsgemäß johlt das Publikum und hat hörbar Spaß an diesem skurrilen Song.

Die einzige Figur, bei der der Mensch dahinter die Puppe überlagert, ist Lucy. Das mag an der leichten Bekleidung von Joyce Diedrich liegen oder auch daran, dass die Puppe Lucy an sich nicht so lebendig wirkt wie die anderen. Dabei hat Diedrich durchaus eine sehr schöne Stimme und spielt die nymphomanische Sängerin sehr gut.

Doch im Vergleich zu Kate fällt sie deutlich ab. Carolina Walker spielt die schüchterne Monsterlady sehr glaubhaft, ihr Niedlichkeitsfaktor ist hoch. Auch gesanglich überzeugt sich vollends. Im Zusammenspiel mit Princeton (Nicolai Schwab) ist sie deutlich die Stärkere. Schwab singt ebenfalls gut, aber noch fehlt es ihm an der nötigen Bühnenpräsenz, um den unentschlossenen, ziellosen Princeton authentisch spielen zu können.

Der sich am Ende des Stücks unter dem Jubel des Publikums und zur nicht wirklichen

Überraschung seiner Nachbarn outende Rodney wird von Kim-David Hammann gegeben. Hammann kann sich wunderbar aufregen und macht auch als Patient bei der sehr präsenten Therapeutin Christmas Eve eine gute Figur.

Rod’s Mitbewohner Nicky geht zwar allen mit seiner Schlampigkeit gehörig auf die Nerven, doch er ist ein guter Mensch und so kann ihm am Ende niemand mehr böse sein. Insbesondere nicht als er für Rod den durchaus ansehnlichen Ricky auftreibt… Michael Thurner spielt diese Rolle gemeinsam mit Mariyama Ebel. Sie sind gut als Team eingespielt und geben dem Chaoten Nicky ein glaubwürdiges Gesicht.

Mithin etwas anstrengend wird irgendwann Marilyn Bennett als Agneta Fältskog, die Hauswirtschafterin der bunten Mieterschar in New York’s Avenue Q. Bei der zehnten Anspielung auf einen ABBA-Song und das fünfte an ABBA erinnernde Kostüm ist das Maß dann mehr als voll und die als witzige Anspielung gedachte Figur wird zum nervtötenden Element. Hinzu kommt, dass Bennett auch gesanglich leider nicht überzeugen kann. Leider fällt dadurch auch ein weiterer Hit („Schadenfreude“) ins Mittelmaß ab.

Da lobe ich mir doch solche Überraschungen wie Maria Klier als Christmas Eve: So nervig und gleichermaßen lustig sie als herrische Asiatin die Männer in ihrem Umfeld herumkommandiert, so beeindruckend klar und sauber ist ihr Gesang („Je mehr Du liebst“).

Am Schluss kann Kate ihre Monstersori-Schule eröffnen, Princeton lernt, dass es im Leben nicht notwendiger-weise auf eine Bestimmung oder ein Ziel ankommt, Lucy ist geläutert und wird Ordenskrankenschwester, Rod hält Ricky die Stange und alles löst sich in gute Laune auf.

Sascha Wienhausen hat seine Akteure gut angeleitet: es gibt keine Brüche im Spiel und jede Szene ist schlüssig. Natürlich darf man bei Nachwuchsdarstellern auch mal ein Auge zudrücken, doch wirklich notwendig ist es hier nicht.

Das sechsköpfige Orchester trägt ganz famos zum Gelingen des Abends bei. Die Musiker sind zwar die meiste Zeit hinter der Fassade des Erdgeschosses verborgen, aber tontechnisch muss man hier keine Abstriche machen.

Alles in allem ist „Avenue Q“ in Hagen eine runde Sache, die zeigt, dass auch ungewöhnlichere Stücke in deutschen Stadttheatern nicht nur eine Daseinsberechtigung haben, sondern auch funktionieren. Denn das Publikum spendet sofort nach dem Finale stehende Ovationen – und das ist eher eine Seltenheit sechs Wochen nach der Premiere.

Michaela Flint

Theater: Theater, Hagen
Premiere: 11. Oktober 2015
Darsteller: Carolina Walker, Nicolai Schwab, Maria Klier, Maciej Bittner, Joyce Diedrich, Marilyn Bennett
Buch / Musik: Jeff Whitty / R. Lopez & J. Marx
Fotos: Theater Hagen & Klaus Lefebvre