home Interviews mit Darstellern Ann Christin Elverum: Die Proben für »Les Misérables« beginnen unter schwierigsten akustischen Bedingungen

Ann Christin Elverum: Die Proben für »Les Misérables« beginnen unter schwierigsten akustischen Bedingungen

Können Sie sich vorstellen, wie es ist, täglich über Werkzeuge, umher liegende Bretter und Kabel zur Arbeit zu stolpern und dann auch noch beim Lärm von Schlagbohrer und Presslufthammer eine neue Gesangsrolle einzustudieren?

Kaum zu glauben, aber so ähnlich stellte sich Anfang August die Proben-Situation im Theater des Westens in Berlin dar.

Die 38 Ensemble-Mitglieder von »Les Misérables« fanden sich zum medienträchtigen Probenstart auf der gerade noch rechtzeitig fertig gestellten Probebühne des Theaters des Westens ein, um unter den Augen von Heinz Rudolf Kunze (Autor der deutschen Texte von »Les Misérables«), James Powell (Regisseur), Nick Davies (Musical Supervisor) und Thomas Lüdicke (Geschäftsführer Theater des Westens) einer großen Journalistenschar Rede und Antwort zu stehen.

Das »Les Misérables«-Ensemble ist eine kunterbunte Mischung aus erfahrenen Musical-Darstellern und Absolventen, die erst in diesem Jahr ihren Abschluss gemacht haben. Oleh Vynnyk (stand bisher bei »Titanic« auf der Bühne) spielt die Rolle des ehemaligen Sträflings Jean Valjean; Uwe Kröger, als sein Widersacher Javert, versucht vergeblich ihn hinter Gitter zu bringen. Ulrich Wiggers (bis vor kurzem noch bei »Mamma Mia!«) und Heike Schmitz wurden als die kleinkriminellen Thénardiers engagiert. Deren unglücklich verliebte Tochter Eponine wird von der Absolventin der Universität der Künste, Vera Bolten, gespielt. Valerie Link (ebenfalls aus dem »Mamma Mia!«-Ensemble) spielt Cosette, die Ziehtochter von Jean Valjean und übernimmt damit ihre erste Hauptrolle. Dieses Privileg genießt auch Lucius Wolter (zuletzt bei »Titanic« in Hamburg) in der Rolle des Studenten Marius. Martin Pasching (bis Juni als Kronprinz Rudolf bei »Elisabeth« in Essen) gibt den temperamentvollen Studentenführer Enjolras.

Die Norwegerin Ann Christin Elverum ist in der Rolle der verarmten Arbeiterin Fantine zu sehen und hat uns in einem Interview ihre ersten Eindrücke von »Les Misérables« und dem Theater des Westens geschildert.

Michaela Flint: Frau Elverum, Sie haben bis Juni bei »Elisabeth« in Essen u. a. die Zweitbesetzung der Kaiserin Elisabeth gespielt. Wie sind Sie zu »Les Misérables« gekommen?

Ann Christin Elverum: Nach dem Ende von »Elisabeth« habe ich sowohl für »Aida« als auch für »Les Misérables«vorgesungen und tatsächlich für beide Stücke ein Angebot bekommen. Bei »Aida« hat man mir den Cover der alternierenden Amneris angeboten und hier mit der Fantine eine Hauptrolle…
Ich würde gern »Aida« machen, denn ich fand das Stück ganz toll als ich es in Holland gesehen habe. Aber jetzt bin ich sehr glücklich, dass ich hier in Berlin bei »Les Misérables« bin.

Michaela Flint: Kannten Sie »Les Misérables« denn auch schon vorher?

Ann Christin Elverum: Nein, leider habe ich »Les Misérables« nie gesehen, das ist meine erste Erfahrung damit. Aber ich bin positiv überrascht, denn ich habe immer gedacht, dass Fantine eine sehr tragische und pathetische Figur ist.
Dabei ist sie eine sehr starke Frau. Selbst wenn sie am Boden liegt und weint, versucht sie immer noch nach etwas zu greifen, das positiv ist. Und das bis zu ihrem Tod. Genau das liebe ich an dieser Rolle: Alle behandeln sie schlecht und verletzten sie, aber sie gibt niemals auf.

Michaela Flint: Wie bereiten Sie sich auf Ihre neue Rolle vor? Haben Sie vielleicht sogar in der Originalvorlage von Victor Hugo nachgelesen, wie die Rolle der Fantine angelegt ist?

Ann Christin Elverum: Wir haben zwar zum Probenbeginn alle das Buch von Victor Hugo’s »Les Misérables« geschenkt bekommen, aber ich habe noch nicht darin gelesen. Ich werde das aber auf jeden Fall noch nachholen, denn es stehen viel Dinge darin, die im Skript nicht erwähnt werden – zum Beispiel: Wer war der Mann, der Fantine mit dem Kind hat sitzen lassen? – und die wichtig sind, wenn ich mich auf diese neue Rolle einstelle.

Michaela Flint: Wie sieht der Probenalltag am Theater des Westens zurzeit gerade aus?

Ann Christin Elverum: Hier im Theater proben wir in zwei Schichten: einmal von 10-14 Uhr und dann von 15-18 Uhr. Aber ich habe mich im Vorfeld sehr intensiv vorbereitet. Ich bin ja hauptsächlich am Anfang des Stücks auf der Bühne und deshalb habe ich schon alle Szenen außer der Todesszene geübt. Im Moment haben wir musikalische und szenische Proben. Parallel dazu finden die Kostümproben statt.

Michaela Flint: Sind die Kostüme schon alle fertig?

Ann Christin Elverum: Nein, viele sind noch in Arbeit. Aber mein Fantine-Kostüm habe ich schon am ersten Tag bekommen. Da war ich zugegebenermaßen sehr überrascht!

Außerdem habe ich noch ein Kostüm für meinen Part als kleiner Junge auf den Barrikaden, denn da spiele ich auch noch mit. Und dieses Kostüm ist so toll! Als Junge verkleidet zu sein, macht richtig Spaß!

Michaela Flint: Dass die Fantine-Darstellerinnen auch noch in anderen Rollen zu sehen sind, ist aber eher selten, oder?

Ann Christin Elverum: Ja, aber es ist auch nur in den großen Barrikaden-Szenen, damit noch ein paar mehr Leute auf der Bühne sind. Ich finde das gut, denn die Vorstellung nach der Todesszene fast zwei Stunden warten zu müssen, bevor ich mein letztes Lied singe, gefällt mir nicht besonders…

Michaela Flint: Wie ist die Zusammenarbeit mit James Powell? Er hat bei »Les Misérables« ja auch schon in London und bei einer Skandinavien-Tour die Regie geführt.

Ann Christin Elverum: Mit jemandem wie James Powell zu arbeiten, ist etwas ganz Besonderes. Er weiß ganz genau, welchen Knopf er drücken muss, um die richtige Emotion bei uns Darstellern zu erzeugen. Ich hab zum Beispiel ein großes Problem mit dem Lied „Ich hab geträumt“, denn es soll schöne Erinnerung, aber zugleich auch gefährlich und traurig sein. James hat mich dann zunächst einfach andere Szenen proben lassen und mir dann ganz viele Kleinigkeiten vermittelt, durch die ich viel Positives und Neues an Fantine entdeckt habe. Und plötzlich ging es viel einfacher!
James und auch der Musical Supervisor Nick Davies helfen uns enorm viel. Viele denken, dass man als Musicaldarsteller nur singt und tanzt und gar nicht spielt. Aber gerade bei »Les Misérables« ist es so, dass es keinen echten Dialog gibt. Das heißt, man muss durch den Gesang spielen und mit viel Gefühl arbeiten. Dabei ist besonders Nick eine große Hilfe. Alle Leute hier sind einfach „terrific“!

Michaela Flint: Die Umgebung ist aber auch nicht zu verachten, oder? Wie fühlt man sich, wenn man in diesem renommierten Theater auf der Bühne stehen wird?

Ann Christin Elverum: Während meiner Zeit beim „Glöckner“ habe ich »Chicago« und »Evita« hier gesehen. Es ist ein wirklich sehr beeindruckendes Theater!
Aber ich habe so ein Pech… Nicht nur hier im Theater habe ich den ganzen Tag Baulärm, sondern auch meine Wohnung ist eingerüstet und wird gerade restauriert. Ich wache also jeden Morgen mit Baulärm auf… Am Abend ist es zum Glück still! Um Ruhe zu haben, flüchte ich dann mit meinem Skript – und dem Ende von Harry Potter – in den Park.

Michaela Flint: Eine persönliche Frage zum Schluss: Im Programmheft steht, dass Sie Ihr »Les Misérables«-Engagement Ihren Großeltern Erling Olaf und Hanna Schrøder Elverum widmen. Gibt es hierfür einen speziellen Grund?

Ann Christin Elverum: Ja, mein Großvater ist letzen Herbst verstorben. Das war und ist für mich sehr traurig, da ich bei meinen Großeltern aufgewachsen bin und sie in meinem Leben einen wichtigen Platz einnehmen. Eigentlich wollte ich ihm meine »Elisabeth«-Shows widmen. Leider war das aus organisatorischen Gründen nicht möglich.

Als ich diesen Sommer im Urlaub bei meiner Großmutter in Norwegen war, ist mir wieder klar geworden, wie wichtig auch sie für mich ist. Bei ihr zu sein, ist immer Therapie und Ruhe für mich. Und da habe ich beschlossen, dass ich mein Engagement hier bei »Les Misérables« diesen beiden für mich so wichtigen Menschen widmen möchte, was mir hier im Theater des Westens auch ermöglicht wurde.

Michaela Flint: Frau Elverum, wir danken Ihnen für dieses sehr persönliche Gespräch und wünschen Ihnen eine erfolgreiche Probenzeit und toi, toi, toi für die Premiere von »Les Misérables« am 26. September.

Den offiziellen Startschuss gaben die Hauptdarsteller durch den Anschnitt einer eigens angefertigten und mit viel (!) Lebensmittelfarbe getränkten Torte.

Bis Ende August werden die Proben auf der neuen Probebühne stattfinden; danach soll auf die richtige Bühne im Theater des Westens gewechselt werden. Und nur zwei Wochen später – am 15. September 2003 – hebt sich der Vorhang für die Generalprobe von »Les Misérables«.

Mehr Informationen unter www.ann-christin-elverum.de

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical