home Interviews mit Kreativen Paul Graham Brown: Begrenzung ist manchmal eine Art von Befreiung!

Paul Graham Brown: Begrenzung ist manchmal eine Art von Befreiung!

Paul Graham Brown studierte Music and Dramatic Presentation an der University of Leeds, an dem er seinen Abschluss mit dem Kompositionspreis des Music Departments feiern konnte. Anschließend folgte eine 5-jährige Tätigkeit als Musical Autor für die North Kesteven District Council, England, wo er fast 20 neue Stücke, die alle in der Region aufgeführt wurden, schrieb, Regie führte oder produzierte. Seit bald zehn Jahren lebt der Engländer nun in Deutschland und hat in dieser Zeit mehrere eigene Shows zur Aufführung gebracht. Dazu zählte „Bonnie & Clyde“ und „Show Dogs“, für das er den 1. Preis beim Grazer Musical Festival 2007 gewann.

Im letzten Winter wurde sein neuestes Musical „Der Kampf des Jahrhunderts“ in der Tribüne Berlin uraufgeführt. Die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Autor James Edward Lyons setzte er fort: Zurzeit schreibt das anglo-amerikanische Duo an einem Musical über King Kong.

Michaela Flint: King Kong besticht üblicherweise durch seine großen Dimensionen. Bisher hat sich keiner getraut, diesen Stoff auf eine Musicalbühne zu bringen. Was reizt Sie daran?

Paul Graham Brown: Vielleicht ist es genau das, dass sich bisher niemand getraut hat, dieses Thema in einem Musical zu verarbeiten (lacht). Viele Leute kennen King Kong, aber keiner weiß, wie wir es für die Bühne umsetzen werden. Das macht dieses Projekt besonders spannend.

Michaela Flint: „King Kong“ wird ein Drei-Personen-Stück sein. Der Casting-Prozess ist gerade abgeschlossen. Warum haben Sie sich für Katharina Koch, Wolfgang Höltzel und Marc Schlapp entschieden?

Paul Graham Brown: James und ich wollten schon seit langem mit Katharina Koch arbeiten. Wir kennen sie beide von früheren Projekten. Sie hat Facetten von denen wir wussten, dass sie perfekt auf unsere weibliche Hauptrolle passen würden und sie besonders interessant machen würden. In den Filmen ist die Rolle der Ann immer sehr oberflächlich angelegt. Das wollten wir vermeiden und mit Katharina sind wir hier auf der sicheren Seite. Wolfgang Höltzel und Marc Schlapp haben uns in den Auditions von vornherein überzeugt. Das Zusammenspiel der beiden ist ideal für unsere männlichen Charaktere. Die genauen Hintergründe für unsere Entscheidung werden Sie verstehen, sobald unser Stück aufgeführt wird.

Michaela Flint: Auch ein Musical über das Thema Boxen hat es bisher nicht gegeben. Suchen Sie sich Ihre Themen gezielt danach aus, was es schon mal zu sehen gab?

Paul Graham Brown: Mir ging es beim „Kampf des Jahrhunderts“ weniger um das Boxen an sich. Als ich die Geschichte zum ersten Mal hörte, war ich von der Begegnung dieser beiden so unterschiedlichen Männer fasziniert. Ich wusste nicht viel über die Hintergründe dieses Kampfes, aber ich spürte die Energie dieses Zusammentreffens. Oft werden Shows über Charaktere geschrieben, mit denen sich das Publikum identifizieren kann. Meist sind sie sind dem Publikum sympathisch und der Zuschauer kann die Entscheidungen der Charaktere nachempfinden. Doch manchmal sind es eben auch die Anti-Helden, die das Publikum bewegen: Sweeney Todd und Mrs. Lovett sind dafür ein perfektes Beispiel. Faktisch waren sie Massenmörder, doch die Zuschauer lieben sie. Auch nicht alles, was Max Schmeling gemacht hat, stieß auf Begeisterung. Um das zu vertuschen, wurde eine riesige Marketing- Kampagne aufgefahren. Doch eine wirkliche Boxerkarriere kann man nicht durch Marketing machen. Man muss auch ein entsprechendes Talent haben. Genau das hat James in seinem Buch gemeint als er geschrieben hat: „Hier zählt nacktes Können gegen nacktes Können!“ Genau das spürt man auch heute noch, wenn man sich ihre Kämpfe ansieht.

Michaela Flint: Heutzutage gibt es viele Fun-Shows, die das Publikum mit wenig Handlung und Tiefgang unterhalten wollen. Sie haben mit „Der Kampf des Jahrhunderts“ ein sehr facettenreiches Stück mit unterschiedlichsten Charakteren geschrieben. Birgt es nicht ein gewisses Risiko, bewusst ein Musical zu schreiben, dass nicht dem offenbaren Mainstream entspricht?

Paul Graham Brown: Ich persönlich mag Fun-Shows sehr. „Mamma Mia“ ist perfekt, um einen fröhlichen Abend im Theater zu verbringen. Um „Mamma Mia“ zu verstehen, braucht man nicht sehr hart zu „arbeiten“, man kann sich zurücklehnen und es genießen. Für viele Zuschauer ist „Mamma Mia“ eine sehr emotionale Angelegenheit. Ich denke, je mehr man sich mit einem Thema bzw. eine Handlung befasst, desto tiefer steigt man auch als Zuschauer ein und desto mehr Spaß macht es tatsächlich.

Ein Risiko besteht immer, wenn man ein neues Stück auf die Bühne bringen möchte, aber für „Der Kampf des Jahrhunderts“ haben wir mit der Tribüne in Berlin ein Theater gefunden, dass sehr gern Musicals zeigte, bei denen das Publikum sich mehr auf die Story einlassen muss, um die Charaktere und ihr Handeln wirklich zu verstehen.

Michaela Flint: Die Tribüne, die leider zum Jahresende 2008 schließen musste, war ein sehr kleines Theater. Wie sind Sie darauf gekommen?

Paul Graham Brown: Als ich nach Berlin kam, habe ich für die Tribüne zusammen mit Nina Schneider und Maja Das Gupta „Das Newsical“ entwickelt. Schon 2006 war man dort sehr aufgeschlossen und so konnten wir jeden Tag ein neues Stück aufführen (Anm. d. Red.: Für „Das Newsical“ wurden jeden Tag die Schlagzeilen neu ausgewertet und binnen 24 Stunden wurden täglich neue Kurz-Musicals geschrieben, geprobt und aufgeführt.). Die Arbeit mit dem Theater hat uns sehr viel Spaß gemacht… Irgendwann habe ich meine Idee geäußert, ein Max Schmeling Musical zu machen und im Prinzip haben sie unsere neue Show gekauft, ohne zu wissen, was genau der Inhalt war, denn James und ich waren noch ganz am Anfang des Kreationsprozesses als wir die Zusage von der Tribüne bekamen.

Michaela Flint: Das klingt sehr nach Arbeiten unter hohem Druck. Gemeinhin verbinden viele mit dem Komponieren immer noch das romantische Bild der Muse, die den Komponisten küsst, so dass ihm über Nacht neue Melodien einfallen.

Paul Graham Brown: Tatsächlich ist das Schreiben von Songs sehr harte Arbeit. Es gibt diese Momente, da kommt einem plötzlich eine Melodie in den Kopf und daraus wird dann ein Lied für die Show. Aber meistens ist es andersherum. Man sitzt am Klavier und sucht nach den passenden musikalischen Themen für seine Helden auf der Bühne. Es muss nicht nur technisch perfekt sein, sondern auch 100 % auf das Bühnengeschehen passen. James und ich haben viel über alles diskutiert, damit der Song in der jeweiligen Situation exakt auf den entsprechenden Charakter und seine Gefühlswelt passt. Das Schreiben eines Musicals ist wirklich alles andere als leicht.

Michaela Flint: Die Idee, jedem der Charaktere in „Kampf des Jahrhunderts“ einen eigenen Musikstil zuzuordnen, hat die Arbeit sicherlich nicht beschleunigt. Warum haben Sie es sich extra schwer gemacht?

Paul Graham Brown: Tatsächlich war es dadurch viel einfacher. Begrenzung ist manchmal auch eine Art von Befreiung. Für mich war von Anfang klar, dass Joe Louis, der „black character“ eine andere Sprache haben muss als Max Schmeling. Und auch Maxs Manager Joe Jacobs ist sehr besonders. Nicht, weil er Jude ist – das ist für ihn persönlich kein Thema. Es rückt erst in den Vordergrund als Max von den Nazis für ihre Propaganda-Maschine eingesetzt wird. Dennoch standen wir vor einem Problem: In anderen Musicals helfen Reprisen dem Publikum den roten Faden zu halten bzw., Charaktere wieder zu erkennen. Das war beim „Kampf des Jahrhunderts“ wenig möglich, da sich viele Songs stilistisch von den anderen unterschieden. Die große jiddische Nummer von Joe Jacobs haben wir nur deshalb im Finale als Reprise genommen, weil er damit alles perfekt zusammenfasst, was in der Geschichte von Max Schmeling, Joe Louis und den Menschen um sie herum passiert.

Michaela Flint: Läuft diedie Arbeit an neuen Musicals hier in Deutschland anders ab als in England oder den Vereinigten Staaten?

Paul Graham Brown: In Amerika ist es ganz anders. Dort herrscht eine ganze andere Musiktheaterkultur. Die Theater werden dort viel weniger subventioniert und es gibt auch diese Art von Theater-Abonnements nicht, die es herzulande gibt. Daher müssen von jeder Show deutlich mehr Vorstellungen gespielt werden. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, muss die Qualität entsprechend hoch sein. Dadurch kann sich der Entwicklungsprozess eines neuen Musicals sehr in die Länge ziehen.

Als wir „Fairystories“ in den USA entwickelt haben, haben wir mit einem sogenannten Reading angefangen. Dort war schon Publikum anwesend und die haben das Musical sehr gern und ausführlich diskutiert, kritisiert und so weiter voran gebracht. Bei den ersten Workshops (noch ohne Kostüme) hat der Regisseur dem Stück wieder eine andere Note gegeben. Als wir dann in Seattle eine eigene kleine Produktion mit vollem technischen Support bekamen, hatten wir wieder einen neuen Regisseur und „Fairystories“ hat sich noch mal verändert. Die Zusammenarbeit mit verschiedenen Regisseuren war sehr wertvoll. Jeder hat einen anderen Blickwinkel, identifiziert sich aber voll mit dem Stück und gibt tolle Hinweise. So etwas nenne ich perfekte Teamarbeit. Keiner hat mir Vorschriften gemacht, bloß weil er der Regisseur war und sich durchsetzen wollte, sondern wir haben alles gemeinsam besprochen.

Das liegt aber zum Teil auch daran, dass es in den USA hunderte, wenn nicht tausende talentierte Autoren und Komponisten an neuen Musicals arbeiten. Und nur ein winzig kleiner Bruchteil schafft es an den Broadway. Während hier in Deutschland jedes Stück, dass mit einem Theater entwickelt wird, dort auch unbedingt auf die Bühne gebracht werden muss. Das erhöht den Druck ungemein und ist für die Kreativität als solche nicht immer förderlich.

Michaela Flint: Würden Sie sagen, dass uns eine Art Off-Broadway oder Fringe-Szene, in der sich jeder so ausprobieren kann, wie in England fehlt?

Paul Graham Brown: Im Prinzip ist eine solche Szene auch in Deutschland vorhanden, aber leider findet man wenig Produzenten, die Interesse daran haben oder den Mut aufbringen, eine neue Show zu machen.

In USA gibt es Musicaltheater seit bald 100 Jahren, da sind die Menschen ganz anders mit aufgewachsen und haben einen anderen Zugang dazu.

Michaela Flint: Warum haben Sie sich entschieden, gerade in Deutschland zu arbeiten und nicht mehr in England oder den USA, wo Ihre Stücke vielleicht größere Bekanntheit erreichen würden?

Paul Graham Brown: Vor zehn Jahren gab es einen Punkt in meinem Leben, an dem ich entscheiden musste, ob ich dauerhaft als Angestellter für die Community 5-6 kleine Musical im Jahr nicht nur schreiben und komponieren, sondern auch inszenieren wollte. Ich entschied mich für eine Art Sabbatical und wollte in paar Wochen bei Freunden in München verbringen. Ich fühlte mich auf Anhieb wohl, fand neue Aufgaben außerhalb des Musicals und entschied mich, meinen Job in England zu kündigen.

Dass ich dann in Berlin gestrandet bin, liegt daran, dass ich die Energie dieser Stadt sehr mag. Man hat das Gefühl, hier noch etwas bewegen zu können. Wenn man irgendwo in Deutschland arbeitet, muss es Berlin sein. Langsam wird Berlin wirklich zur Hauptstadt.

Ich wollte immer leben und arbeiten. Genau das kann ich hier.

Michaela Flint: Seit kurzem arbeiten Sie an der Stage School in Hamburg als Dozent für Liedinterpretation. Wie kam es dazu?

Paul Graham Brown: Ich wollte gern wieder unterrichten. Das hat mir schon 2006 an Paul McCartney LIPA School in Liverpool viel Spaß gemacht. Und da die Stage School im Januar nach einem neuen Dozenten suchte, hat das perfekt gepasst.

Michaela Flint: Zurzeit arbeiten Sie – wieder mit James Edward Lyons – an Ihrem neuen Stück. „King Kong“ wird im am 28. August Weltpremiere feiern. Erzählen Sie uns mehr darüber…

Paul Graham Brown: Die Premiere wird im „Kleinen Theater“ sein. Unser Musical basiert auf der Novelle von Delos W. Lovelace. Wir haben die Handlung auf die drei Hauptcharaktere konzentriert. Es geht um ihre Beziehung zueinander und darum, wie diese sich verändert als sie King Kong begegnen.

Musikalisch bleiben wir in den 1930er Jahren. Beim „Kampf des Jahrhunderts“ habe ich mit der Musik verschiedene konkrete Welten dargestellt. Bei „King Kong“ müssen wir mit den Songs eine fiktive Welt erschaffen, die nicht immer schön ist. Mit der Musik versuchen wir, die Phantasie der Zuschauer anzuregen, damit jeder sich sein eigenes Bild über King Kongs Welt machen kann.

Aber natürlich wird es kein Horror-Musical, sondern eine Show über Sehnsucht und Emotionen, wobei der Humor nicht zu kurz kommen wird.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical