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Robin Brosch: Ich suche Menschen, die mir eine Geschichte erzählen

Kurz nachdem sich der 3. Jahrgang der Joop van den Ende Academy mit „Limbo Macchiato!“ der Öffentlichkeit präsentierte, treffen wir Robin Brosch, den Künstlerischen Direktor der Musicalschule am Kehrwieder in Hamburg.

Da der diesjährige Abschlussjahrgang mit neun Absolventen nur sehr klein ist, hat man sich, neben künstlerisch innovativen Gründen, entschieden, das Abschlussprojekt nicht im hauseigenen konventionellen Kehrwieder-Theater zu präsentieren, sondern im Lichtdurchfluteten Bistro der Firmen-zentrale der Stage Entertainment. Wobei Bistro vielleicht der falsche Begriff ist, denn unter dem Glasdach des umgebauten Speichers treffen sich täglich Marketing-Manager, Musical-Schüler, Kreative und auch Geschäftsführer zum Essen. Genau diese Mixtur von künstlerischen und administrativen Bereichen macht für Robin Brosch das Besondere an „seiner“ Academy aus: „Es hilft den Schülern sehr, wenn sie von Anfang an lernen, wie wichtig Marketing, Sales und Verwaltung für die Existenz ihrer Jobs sind. Ein Schauspieler allein kann kein Musical zum Laufen bringen, dazu braucht es neben den Gewerken auf der Hinterbühne noch zahlreiche andere Menschen. Und diese treffen unsere Schüler hier täglich beim Essen.“

Die individuelle Ausbildung ist ganz klar der Schlüssel zum Erfolg der 2003 gegründeten privaten Musicalschule. „Wir stehen immer in Konkurrenz zu den staatlichen Schulen, auch und weil wir Geld kosten.“ erzählt Robin Brosch, der die Leidenschaft für seinen Beruf in jeder Sekunde ausstrahlt. „Ich versuche, die besten Dozenten herzuholen, die ich kenne. Und dabei darf man nicht vergessen, dass wir bei weitem nicht die Stundensätze zahlen, die die Kollegen bspw. für einen Drehtag oder ein Konzert bekämen. Doch die Academy scheint für alle Beteiligten eine Atmosphäre zu haben, dass sie sich gern einbringen. Natürlich bekommen unsere Dozenten auch etwas von den Schülern zurück. Letztlich investieren sie in die Zukunft des Jobs, den sie selbst vor vielen Jahren erlernt haben.“

Das Ziel ist für Brosch glasklar: „ Ich möchte unsere Schüler so breit wie möglich aufstellen. Sie sollen nicht nur 5 Jahre erfolgreich in ihrem Beruf sein können, sondern 50. In den drei Jahren der Ausbildung möchte ich ihre Köpfe und Herzen soweit aufmachen, dass sie sich auch die nächsten Jahrzehnte aktiv mit dem Gelernten beschäftigen. Dazu gehört auch, dass wir mit der Zeit gehen. Wenn man vor zehn Jahren bei einer Audition einen ABBA-Song gesungen hat, wurde man ausgelacht; heutzutage sind ABBA-Songs im Repertoire Pflicht. Aber genauso möchte ich auch die Sinne schärfen für Show wie die „Blue Man Group“. Nur mit Percussion und ohne ein Wort zu sagen, ein großes Publikum 90 Minuten unterhalten zu können, ist eine große Leistung. Und auch das sollen unsere Schüler lernen. Die Musicalwelt hat sich in den letzten 5 Jahren um 180 Grad gedreht und das gilt es im Blick zu behalten. Nur wenn sie die hochwertige Technik, die sie hier erlernen mit ihrer Leidenschaft für den Job paaren, haben sie ein realistische Chance längerfristig im Musicalbusiness zu bestehen.“

Ein Weg, die aktuellen Entwicklungen der Musical- und Theaterszene präsent zu haben, ist der Anspruch dass die überwiegende Mehrzahl der rund 40 Dozenten der Joop van den Ende Academy selbst noch aktiv auf der Bühne stehen. Auch der Chef selbst ist da keine Ausnahme. Bis vor kurzem stand er bei „Songs from a Room“ im Hamburger Schauspielhaus mit auf der Bühne (Siehe blickpunkt musical Ausgabe 02/08); im Sommer wird er wieder den Hamburger Jedermann geben. „Mir ist es sehr wichtig, dass wir als Lehrer nicht verstauben. Bei Kindern ist das aktive Vorleben von Verhalten ein häufig unterschätzter Faktor, deshalb muss ich als Pädagoge auch immer selbst auf der Bühne stehen.

Natürlich sind meine Schüler dann meine schärfsten Kritiker. Sie können das, was ich ihnen beibringe genau überprüfen und äußern auch entsprechende Kritik. Natürlich muss ein guter Schauspieler kein guter Lehrer sein und andersherum; ideal ist es, wenn beides gleich gut funktioniert. Doch am wichtigsten ist es, sich selbst in der Praxis immer wieder zu überprüfen.“

Die Aufgabe, die Leitung einer neuen Privatschule für Musical zu übernehmen, wurde an Robin Brosch herangetragen als er noch bei „Titanic“ auf der Bühne stand und als Ensemblesprecher – zugegeben, kein ganz einfacher Job – aktiv war. „Ich merkte, dass noch andere Talente in mir schlummerten und fühlte mich sehr geehrt, als Christan Struppeck mich damals fragte, ob ich mir vorstellen könnte, die nagelneue Joop van den ende Academy zu leiten.“ erinnert sich Brosch. „Das Konzept der Academy war so neu und individuell und so anders als alles, was ich bis dahin kannte. Maik Klokow hat mir dann in einem sehr toughen Bewerbungsgespräch noch mal ins Gewissen geredet, da ich ja als Leiter der Academy auf zahlreiche kommende Rollen verzichten müsse. Da musste ich noch mal sehr in mich gehen. Immerhin stand ich zu dem Zeitpunkt schon 20 Jahre ununterbrochen auf der Bühne. Ich bin Schauspieler und liebe das! Aber ich hatte auch schon ein paar Mal unterrichtet und das Gefühl, wenn sich für einen Schüler aufgrund eines Ratschlags von mir eine weitere Karrieretür öffnete, hatte ich in der Form noch nicht erlebt. Applaus auf der Bühne ist die größte Anerkennung für einen Künstler, doch einem jungen Talent etwas von dem eigenen Wissen mitzugeben, sich auf die Schüler einzulassen, deren Sprache zu lernen und zu erfahren, wie sie sich damit weiterentwickeln, das ist etwas ganz anderes.“

In den Augen von Robin Brosch funkelt aufrichtige Liebe – für seinen Job UND seine Schüler. „ Wie alle Dozenten hänge ich sehr an meinen Schülern, doch irgendwann kommt der Punkt, wo man sie, manchmal unsanft, aus dem Nest schubsen muss: viele Schüler können dann auch einfach nicht mehr hören, was man ihnen sagt und wollen sich, verständlicher Weise, endlich allein auf „freier Wildbahn“ behaupten. Dass es stimmt, was wir lehren, müssen sie dann draußen lernen. Doch der Kontakt reißt nie ab. Viele treffen sich immer wieder bei Auditions für die verschiedensten Produktionen hier oder um für eigene Projekte zu proben und sich weiter zu bilden. Wenn man sich dann mit ihnen unterhält, spürt man, dass die Ausbildung auch für die Absolventen eine großartige Zeit gewesen ist, die sie sehr genossen haben.“

Diese persönliche Bindung spielt auch bei der Auswahl der potentiellen Schüler eines Jahrgangs eine nicht unwesentliche Rolle: „Qualität und Ehrgeiz allein reichen nicht aus. Ich möchte, dass mir jemand mit allem, was ihm zur Verfügung steht, eine Geschichte erzählt – mit Kopf und Herz, am liebsten Herz über Kopf. Natürlich ist es toll zu sehen, wenn jemand perfekt tanzt oder ein hohes C singen kann. Doch viel wichtiger ist für mich, der Weg dahin. Wenn man aus sich das gewisse Etwas herholen kann, das kleine Quentchen mehr, obwohl man vermeintlich schon am Ende ist – das ist für mich Kunst.“

Bei der Auswahl der Schüler geht das Team immer sehr ehrlich vor. Das kann manchmal auch wehtun: „… aber tatsächlich sind es nicht wir, die die Träume platzen lassen (müssen). Wir bilden für den Markt aus und haben damit eine sehr große Verantwortung. Ich kann niemanden nehmen, von dem ich nicht aus tiefster Seele überzeugt bin.“

Die Joop van den Ende Academy hat Kapazitäten 16 Schüler pro Jahrgang aufzunehmen. Dass der aktuelle Jahrgang so sehr zusammengeschrumpft ist, liegt zum einen daran, dass man sich auch während einer Ausbildung durchaus mal trennt, „entweder weil der Schüler von sich aus feststellt, dass er/sie sich etwas anderes von der Ausbildung versprochen hat oder es kommt eben auch mal vor, dass wir feststellen, dass sich ein Schüler nicht in die erwartete Richtung entwickelt.“

Vom aktuellen Jahrgang waren drei bei der Abschlussveranstaltung schon anderweitig engagiert: Ahou Nikazar gehört zum Ensemble der Österreich-Premiere von „The Producers“ in Wien und Riccardo Greco ist bei „Mamma Mia“ in Berlin unter Vertrag. Nadja scheiwiller wird ab Sommer bei „Tarzan“ im Theater Neue Flora proben. „Natürlich geben wir unsere Schüler nur sehr ungern vorzeitig her. Aber wir prüfen jedes Semester zusammen mit externen Kollegen, wie weit unsere Schüler sind. Dadurch, dass unsere Prüfungsjury hauptsächlich aus externen Kollegen und Castern besteht, haben wir ein sehr realistisches Instrument, das anzeigt, ob unsere zukünftigen Absolventen auf dem Musicalmarkt bestehen können. Und manchmal hat man dann eben Ausnahmetalente, die schon während der Ausbildung so positiv auffallen, dass sie eine vorgezogene Abschlussprüfung machen und sofort in ein Engagement gehen…und da ist z.B. Sabrina Weckerlin schon lange kein Einzelfall mehr.“

Jeder Schüler kann und soll auch schon während der Ausbildung an echten Auditions teilnehmen, „Allerdings müssen sie dann auch die Konsequenzen tragen. Und die heißen dann ggf. vorzeitige Beendung der Ausbildung. Wer in einer Audition nicht überzeugt, wird nicht engagiert. Umso schöner ist es dann natürlich, wenn einer unser Schüler hinein geht und mit einem Job in der Tasche wieder herauskommt.“

blickpunkt musical konnte sich bei den Proben für eine Extra-Audition bei der staatlichen ZAV- Künstlervermittlung (ehemals ZBF) davon überzeugen, wie großartig auch dieser Jahrgang wieder ist. Robin Brosch selbst schaute sich die Generalprobe an und erarbeitete mit seinen Schülern hier und da eine Optimierung. Es war wunderbar zu sehen, wie sehr auf Augenhöhe sich der Schulleiter mit seinen Schülern befasst.

Jeder der sieben Schüler überzeugte durch eine individuelle Note, die eine hat ein ausgeprägtes komisches Talent, der nächste überzeugt durch eine sehr emotionale Interpretation eines Songs, und wieder andere sind ausgezeichnete Tänzer. Doch was sie alle eint: Sie können problemlos schon jetzt mit ihren Kollegen auf der Musicalbühne mithalten. Wir wünschen Birgit Busse, Riccardo Greco, Markus Hanse, Joana Henrique, Dennis Kornau, Ahou Nikazar, Nadja Scheiwiller, Maria Walter und Martina Windbichler viel Erfolg!

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical