home Interviews mit Musikern & Ensembles Das Guys Sing Dolls Ensemble über die etwas andere Musical-Gala

Das Guys Sing Dolls Ensemble über die etwas andere Musical-Gala

Das gab es bisher in Deutschland – und im übrigen auch sonst – noch nirgendwo: Fünf Musicaldarsteller, die in einer außergewöhnlichen Gala die Songs ihrer Kolleginnen zum Besten geben. Nicht „im Fummel“, sondern geschmackvoll gekleidet und ansprechend inszeniert.

Vom Konzept, über die Arrangements bis hin zum Logodesign und der Locationsuche haben die Darsteller ihr Gemeinschaftsprojekt in Eigenregie und ohne Unterstützung durch einen Musicalkonzern o. ä. in Angriff genommen. Die Idee zu diesem abendfüllenden Programm hatte Michel Driesse im Winter 2005/2006. „Ich bin sehr kreativ und wollte schon immer einmal „Ich gehört mir“ singen, wofür es natürlich in der regulären Show keine Gelegenheit gibt. Eines Tages kam mir die Idee, daraus ein vollständiges Programm zu machen.“ erklärt der Holländer. Die fünf „Guys“, die die Damen-Lieder singen, sind neben Michel Driesse: Tim Reichwein, Patrick Mares, Veit Schäfermeier und Fredrik Wickerts. Als musikalische Unterstützung und einzige Frau auf dem Parkett steht den fünf Sängern Marina Kommisartchik zur Seite. Seit Jahren ist sie fester Bestandteil im Orchester der Neuen Flora und widmet sich gern ambitionierten Projekten abseits der großen Ensuite-Bühnen. Alle sechs gehörten zum Ensemble von „Tanz der Vampire“ in Hamburg und „da wir noch keine Engagements nach Hamburg hatten, hatten wir die Wahl zwischen gelangweilt zuhause herumsitzen oder etwas Neuem noch nie Dagewesenem.“ beschreibt Veit Schäfermeier den Ursprung dieser Kombo. Patrick Mares ergänzt: „Wir verstehen uns auch privat sehr gut und Michel musste uns gar nicht lange überreden bei „Guys sing Dolls“ mitzumachen.“

Das Programm haben Michel Driesse und Veit Schäfermeier gemeinsam erarbeitet, wobei Michel Driesse schon sehr konkrete Vorstellungen hatte, wo es hingehen sollte. Fredrik Wickerts erinnert sich: „Wir saßen mit einer langen Liste mit Damen-Songs aus Musicals bei mir und haben überlegt, wie wir das zusammensetzen.“ Bei der Masse war es schon ganz gut, dass Driesse die Oberhand behielt und sich programmatisch durchsetzte. Herausgekommen ist ein Potpourri aus Themenblocks, in denen nicht nur die bekannten Musicalklassiker präsentiert werden, sondern auch viele der breiten masse eher unbekannte Stücke, dazu zählen Songs aus „Yentl“ genauso wie Titel aus „Copacabana“ oder „A Little Night Music“.

Der Spaß an ihrer Arbeit ist den fünf Darstellern zu jeder Zeit anzumerken: Sei es nun in dem „Hurenblock“, in den Stücke aus „Cabaret“, „Jekyll & Hyde“ oder „Chicago“ untergebracht und klassisch auf der Stuhlreihe inszeniert sind oder der Duett-Block, der viele großen Damenduette wie „I know him so well“ („Chess“) oder „I still believe“ („Miss Saigon“) beinhaltet. Besonders viel Spaß haben Künstler und Publikum bei der musikalischen „Reise nach Jerusalem“, in der sich die fünf Sänger um die Stühle jagen und der Verlierer einen neuen Titel singen muss. Im Schnelldurchlauf werden hier „Evita“. „Cats“, „Mozart!“ und „Die schöne und das Biest“ abgehakt. Und das ganze immer mit der nötigen Wertschätzung. Während des gesamten Abends wird kein Song verunglimpft oder durch unpassende Choreographien oder Kostüme in ein falsches Licht gerückt.

Wie Driesse, der natürlich „Ich gehör nur mir“ intoniert, haben auch seine vier Kollegen einen absoluten Lieblingssong, den sie schon immer einmal live auf einer Bühne performen wollten. Für Tim Reichwein ist dies „I am telling you“ aus „Dreamgirls“ – „meinem absoluten Lieblingsstück“ gibt der Neu-Wiener zu. Patrick Mares Herz schlägt für „So einfach, so schwer“ aus „Aida“ und Fredrik Wickerts überrascht das Publikum mit „Du maste finas“ aus dem schwedischen Erfolgmusical „Kristina“. Veit Schäfermeier schlüpft in die Rolle von Milady de Winter und verkündet ergreifend „Milady ist zrück“ aus den „3 Musketieren“. So unterschiedlich diese persönlichen Gesangsvorlieben sind, so verschieden sind auch die fünf Menschen dahinter.

Auch wenn sie die erste Zeit nach „Tanz der Vampire“ noch gemeinsam in Hamburg waren, zerstreuten sich ihre Wege bald in alle Regionen Deutschlands und darüber hinaus. Einzig Patrick Mares ist noch in der Hansestadt geblieben, doch auch er wird bald auf der „Aida“ anheuern und als Solist auf Kreuzfahrt gehen. Tim Reichwein gehört zum „Rebecca“-Ensemble in Wien, Veit Schäfermeier gibt den Prof. Abronsius beim „Tanz der Vampire“ in Berlin, Michel Driesse kämpft mit den „3 Musketieren“ in Stuttgart und Fredrick Wickerts pendelt zwischen Hannover und den umliegenden Städten mit „Arielle“. Es war also gar nicht so leicht für Marina Kommisartchik ihre fünf Guys zum Proben unter einen Hut zu bekommen. „Die Proben waren sehr schwierig. Weil wir so wenig gemeinsame Zeit hatten, mussten wir sehr konzentriert arbeiten.“ erzählt Patrick Mares. Tim Reichwein fügt hinzu, dass es gut war, „dass Michel eingegriffen hat, wenn wir zu undiszipliniert waren. Er war von Anfang der Regisseur des Ganzen und seine Sache sehr gut gemacht.“ Fredrik Wickerts ergänzt: „Es gab nie Streit. Wir sind alle Profis genug, um zu wissen, dass einer die letzte Entscheidung treffen muss, die dann zu akzeptieren ist. Viele Köche verderben eben auch in unserer Branche den Brei.“

Wenn man Songs nur von Frauen gesungen kennt, hat man automatisch auch die entsprechende Stimmlage im Ohr. Die fünf Jungs und ihre begnadete Pianistin wollten jedoch keine Persiflage auf die Bühne bringen, sondern sich ernsthaft mit diesem Thema befassen. „Deshalb haben wir die Songs alle für unsere Stimmlage umarrangiert.“ erklärt Veit Schäfermeier. „Das war ganz schön viel Arbeit, aber es hat sich gelohnt.“ meint Michel Driesse. Natürlich kann man nicht jeden Song auch thematisch von Frauen auf Männer umändern, „zum Beispiel ist es bei „Amerika“ aus „Titanic“ nicht leicht, immer ernst zu bleiben, wenn ich singe, dass ich Zofe/Lehrerin werde“, sagt Fredrik Wickerts, aber im Großen und Ganzen passt ein Damen-Soli auch für Männer.

Dass einige Szenen sich nicht nur beim Publikum besonderer Beliebtheit erfreuen, wird beispielsweise beim Hexenblock deutlich: Veit Schäfermeier und Tim Reichwein blühen geradezu auf und fegen zu „Popular“ und „Defying Gravity“ wie ein Wirbelwind über die Bühne. Ganz großartig ist auch die Interpretation von Tim Reichwein, Michel Driesse und Patrick Mares von „Wer kann schon ohne Liebe sein“ aus „3 Musketiere“. Urkomisch ist Fredrik Wickerts „Hula-Song“ aus „Dirty Dancing“. Auch als Veit Schäfermeier, in Hamburg noch als Zweitbesetzung des Grafen von Krolock auf der Bühne, einige Textzeilen von den „Roten Stiefeln“ anstimmt, johlen die Zuschauer. Das Publikum biegt sich vor Lachen. Überhaupt ist die „Guys sing Dolls“-Gala mit kleinen komödiantischen Einlagen gespickt, die den Ablauf etwas auflockern, das Konzept aber dadurch nicht ins Wanken bringen. Dazu gehört auch schon die bereits erwähnte „Reise nach Jerusalem“, die den Künstlern nicht nur Ausdauer abverlangt, sondern auch eine hohe Konzentration voraussetzt. Denn während die Zuschauer ihren Spaß haben, dürfen die Sänger nicht vergessen, welcher Song als nächstes kommt. Auch Initiator und Regisseur Driesse erfreut sich jedes Mal aufs Neue an seinem Werk: „Ich bin so stolz auf die Jungs. Es ist ein ganz besonderes Gefühl, mit fünf Freunden auf der Bühne zu stehen.“ Ein emotionales Highlight für den jungen Holländer ist die Version von „I will never leave you“ aus „Side Show“, die in Gebärdensprache präsentiert wird. „Mein Ex-Freund war taub, deshalb weiß ich wie wichtig Gebärdensprache ist. Ich erinnere mich gern daran, was ich durch ihn an Erfahrungen gewonnen habe.“

Dass Michel Driesse und seine fünf Kollegen mit diesem Konzept etwas völlig Neues auf die Beine gestellt haben, ist ihnen inzwischen bewusst. „Am Anfang ging es darum, zu testen wie das Konzept beim Publikum ankommt. Wir hatten keine Idee, dass es so gut angenommen würde, dass wir jetzt sogar eine Sommer-Tournee damit machen.“ sagt Driesse nicht ohne Stolz. Man kennt zahlreiche Shows, in denen Drag-Queens oder Travestie-Künstler Songs von Sängerinnen auf die Schippe nehmen, doch davon distanzieren sich die ehemaligen Hamburger Vampire ausdrücklich. „Wir sind keine Männer in Frauenkleidern, sondern ernstzunehmende Sänger, die mit dieser Show die Musik ehren wollen.“ führt Reichwein an. Patrick Mares fährt fort: „Einige Songs sind schon sehr schwierig, da sie besonders weich und melodisch sind. Da könnte es passieren, dass es lächerlich wirkt, wenn man nicht ernsthaft an die Sache herangeht.“ Doch die Songliste ist von Michel Driesse und Veit Schäfermeier so gut zusammengestellt, dass diese Stücke nicht so prägnant sind.

Die ersten drei Vorstellungen fanden in Hamburg vor durchaus musical-interessiertem Publikum statt. Die ursprünglich als Einzelshow geplante erste Aufführung war so schnell ausverkauft, dass man eine zweite und ritte nachschieben „musste“. „Spannend wird es zu erleben, wie Zuschauer auf uns reagieren, die nicht in einer großen Musicalstadt wohnen.“ sagt Wickerts. Pragmatisch fügt Reichwein hinzu: „Wenn man nicht zu hohe Erwartungen hat, kann man – wie immer im Leben – nicht enttäuscht werden. Ich kann nur jeden motivieren, seine Ideen umzusetzen und sich durch eventuelle Hürden nicht aufhalten zu lassen.“ Alle sechs freuen sich sehr auf die geplante Sommer-Tournee und darauf endlich mal wieder gemeinsam auf der Bühne zu stehen.

Die nächste Chance „Guys sing Dolls“ live zu erleben, hat man am 15. Januar in Norden. Bis dahin wird sich wieder jeder in seinem stillen Kämmerlein in Berlin, Wien, Stuttgart, Hannover bzw. auf einem Schiff vorbereiten und erst am Vorstellungstag in Norden werden Choreographie und Staging erneut gemeinsam geprobt.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical