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Swan Lake Reloaded

Wie begeistert man junge Menschen für traditionsreiche Ballette wie Tschaikovsky’s „Schwanensee“? Eine moderne Inszenierung des klassischen Stoffs ist eine viel genutzte Variante. Doch Fredrik Rydman geht mit seinem „Swan Lake Reloaded“ noch einen Schritt weiter und schafft eine Mischung aus Pop, Hiphop und Klassik in einem durch und durch modernen Ambiente, welches sich sowohl im Bühnenbild als auch in den Kostümen wiederspiegelt.

Zentrales Thema ist die Gier nach Drogen und Liebe in der trostlosen Betonwüste einer heutigen Großstadt. Dass Drogen im Mittelpunkt des Interesses der Handelnden stehen, wird schon in der Ouvertüre deutlich: Junkies (die ziemlich heruntergekommenen Schwäne) stehen bei ihrem Dealer und Zuhälter (Rotbart) Schlange, um ihre Einnahmen gegen Drogen verschiedenster Art einzutauschen.

Auch beim Ball, auf dem Siegfried sich eine Braut aussuchen soll, wird der allseits verbreitete und nicht minder tabuisierte Drogenkonsum verbildlicht: Von Haschisch über Kokain bis hin zu Heroin werden von den Darstellern alle erdenklichen „Stimmungsaufheller“ konsumiert. Ihr Leben scheint sich nur um den nächsten Kick zu drehen.

Auch das Kennenlernen von Siegfried und Odette, dem weißen Schwan, bleibt ganz in diesem Bild: Odette hat starke Entzugserscheinungen. Siegfried, dessen Freunde ihn zu den in Schaufenstern posierenden Prostituierten geschleppt haben, um ihn von der nervigen Brautschau abzulenken, bietet ihr seine Hilfe an. Die beiden tanzen ein sehr intensives Pas-de-Deux, an dessen Ende sich Odette von Siegfried losreißt und ihren Freundinnen folgt. Leider haben sich an diesem Abend viele asynchrone Bewegungsabläufe eingeschlichen. Nichtsdestotrotz gehört diese Szene zu den Highlights.

Auch im zweiten Akt sind es nicht die Ensemblenummern, die begeistern, sondern – neben dem obligatorischen Tanz der Schwäne – die Konfrontation von Rotbart und Siegfried. Die beiden Tänzer sind einander ebenbürtig und jeder weiß auf seine Weise deutliche Akzente zu setzen.

Sehr amüsant und abwechslungsreich – sowohl kostümseitig als auch tänzerisch – ist die Brautschau, der Siegfried sich unterziehen muss: Die Damen präsentieren sich in verschiedensten Kleidern zu unterschiedlichen Musikstilen auf einem Laufsteg, an dessen Rand der sehr kreativ gewandete Hofstaat das Treiben begutachtet. Natürlich lässt sich Siegfried auch bei „Swan Lake Reloaded“ von Odile, Rotbarts Tochter, täuschen und verlobt sich mit ihr. Zu spät merkt er, dass er auf einen schwarzen Zauber hereingefallen ist.

Das Finale ist bildgewaltig – vorausgesetzt man sitzt direkt vor der Bühne. Denn die komplette Show und ihre Effekte sind frontal ausgerichtet. Sitzt man seitlich von der Bühne kommt man in den zweifelhaften Genuss die Obermaschinerie und sämtliche Requisiten und Aktivitäten auf den Seitenbühnen zu erleben.

Wenn beim Finale Siegfried Rotbart bekämpft und Odette am Ende in einem Sturm aus Federn stirbt, ist dies durchaus beeindruckend. Die nackte Bühne, erhellt von zahlreichen Scheinwerfern, die direkt ins Publikum strahlen, verstärken die Beklemmung, die der Tod Odettes ohnehin schon auslöst.

„Swan Lake Reloaded“ lebt von den Tänzen. Alles andere spielt hier eine ungeordnete Rolle. Regisseur und Choreograph Rydman erreicht sein Ziel – mehr tänzerische Ausdrucksmöglichkeiten durch die Mischung von Musikstilen – in jedem Fall. Und hier nur von Breakdance zu sprechen, wird der Vielseitigkeit der Tanzformen nicht gerecht. Denn der Zuschauer erlebt (gemäß Pressemeldung) Breaking, B-Boying, Locking und Popping. Geprägt wurden diese Tanzstile u. a. von Michael Jackson (Popping), der Funk & Soul Bewegung (Locking) sowie klassischem Hiphop in der Tradition von James Brown (B-Boying).

Alle Tänzerinnen und Tänzer beherrschen ihr Fach und können individuelle Highlights setzen. Maria Andersson (Odette) überzeugt vor allem während der Kennenlern-Szene mit ihren Entzugserscheinungen. Sie hadert mit ihrem Schicksal und kann sich selbst nicht befreien – dies bringt Andersson mit ihren Haltung und ihren scheinbar kraftlosen Bewegungen sehr gut über die Rampe. Als Prinz Siegfried steht Kenny Lantz auf der Bühne der Jahrhunderthalle. Er überzeugt mit seinen Popping-Sequenzen und versteht es, die Zerrissenheit zwischen den Verlockungen der Unterwelt und dem Glauben an die wahre Liebe gut zu transportieren. Sein Widersacher  Rotbart wird von Robin Peters gegeben, der das mystisch-gefährliche des schwarzen Zauberers nicht subtil, sondern mit voller Intensität verkörpert. Definitiv einer der spannendsten Charaktere dieser Inszenierung. Auch die restlichen sieben Tänzerinnen und Tänzer füllen die Szenerie mit viel Energie und zeigen nachdrücklich, dass ihnen ihr Job Spaß macht.

„Swan Lake Reloaded“ ist der gelungene Versuch, etwas vermeintlich Angestaubtes sehr modern (vielleicht manchmal auch zu modern) und ohne Rücksicht auf eventuelle Befindlichkeiten und Tabuthemen auf die Bühne zu bringen. Man könnte die Charaktere durch mehr Schauspielelemente noch griffiger gestalten, um die Handlung noch verständlicher zu machen. Denn ohne den Hintergrund vom klassischen „Schwanensee“ kann man der Handlung teilweise nur schwer folgen.

Michaela Flint

Theater: Jahrhunderthalle, Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 2. Februar 2016
Darsteller: Maria Andersson, Kevin Foo, Robin Peters, Lisa Arnold, Victor Mengarelli
Fotos: Mats Baecker / Semmel Concerts