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Bollywood-Tour

Inzwischen ist auch Deutschland vom „Bollywood“-Virus infiziert. Was in England die Zuschauer schon seit vielen Jahren vor die TV-Geräte und in Theater (u. a. „Bombay Dreams“) zieht, gibt es nun in kompakter Form auch für das kontinentaleuropäische Publikum.

In blickpunkt musicals haben wir bereits über die Premiere von „Bollywood“ in Berlin berichtet. Inzwischen reisen die 40 Künstler und ihre fast ebenso große Tour-Crew seit fünf Monaten durch den nass-kalten europäischen Herbst und spielen fast jeden Tag an einem anderen Ort, in einem anderen Theater, meistens in einer Mehrzweckhalle. „Es ist wirklich schade, dass wir keine Zeit haben, uns die Städte, in denen wir auftreten, anzuschauen.“ bedauert Hauptdarstellerin Carol Furtado. „Jeden Tag auf der Bühne zu stehen, ist nicht das Anstrengende, wenn man auf Tour ist. Was uns wirklich die Kraft raubt, ist das permanente Reisen. Wir sind kaum zwei Nächte in einer Stadt.“ Dennoch versucht die junge Künstlerin auch etwas von der Stadt in sich aufzunehmen, in der der Tour-Tross gerade Halt macht: „Während meine Kollegen Work-Outs machen oder sich schon Stunden vor der Show mental darauf einstimmen, gehöre ich zu den etwas „Gemütlicheren“. Jeder Mensch tickt eben anders und für mich ist es sehr wichtig, mir die Besonderheiten der Stadt anzuschauen.“

Seit Oktober 2006 wird „Bollywood“ nun schon in Europa gezeigt. Für Carol Furtado ist dies eine einmalige Chance, ihr Land zu präsentieren. Denn auch wenn der Name etwas anderes nahe legt – Carol Furtado ist so indisch wie man nur sein kann: „Meine Eltern stammen aus Goa und ich bin katholisch erzogen worden. Daher kommt der für eine Inderin sehr ungewöhnliche Vorname Carol. Und mein Ur-Ur-Ur-Großvater war Portugiese, was man am Nachnamen erkennt. Aber ich bin eine echte Inderin.“ Für die Carol Furtado ist es eine große Herausforderung, jeden Abend wieder auf der Bühne die Titelfigur zu spielen. Bisher hatte sie vor allem durch Tanzauftritte auf sich aufmerksam gemacht. Eine Rolle, in der auch Schauspiel gefordert wird, war für sie neu. „Ich bin sehr stolz hier mit dabei sein zu dürfen. Für mich ist es natürlich noch ein bisschen härter als für die anderen, weil ich fast jeden Tag Pressetermine habe, aber ich freue mich jedes Mal darauf, endlich wieder auf der Bühne tanzen zu können. Tanzen ist das, was ich seit Jahren mache und das kann ich hier richtig ausleben.“

So weit weg von zuhause, in einer vollkommen anderen Kultur – kommt da nicht Heimweh auf? „Sicherlich vermissen wir unsere Familien und unsere Heimat. Bisher hatten wir auch keine Chance, zwischendurch für ein paar Tage zurückzufliegen. Aber auf der anderen Seite ist es sehr spannend zu erleben, wie das Publikum auf uns reagiert. Die Arbeit kommt zuerst, da muss alles andere hinten anstehen. Der Kulturaustausch, den wir mit dieser Show fördern, ist für mich der beste Weg, dem Westen unsere Kultur zu zeigen. Man sieht in dieser Show einfach alles: unsere Traditionen, wie wir leben und sprechen, wie wichtig Farben und Musik für uns sind – eben was für Menschen wir sind.“

Durch die Farben, Klänge und Tänze wird eine unbändige Lebensfreude ausgedrückt. Sehr wichtig sind hierbei die authentischen Kostüme, die vom traditionellen Sari über folkloristische Trachten der Landbevölkerung bis hin zu extrem knappen Tops und Hotpants – die man in dieser Form nicht mit Indien in Verbindung bringen würde – alles aufbieten, was das Herz begehrt. Für die zahlreichen Kostüme der 40

Tänzerinnen und Tänzer zeichnet Falguni Thakore verantwortlich. Bereits seit zehn Jahren arbeitet sie für die Filmindustrie Indiens und durfte u. a. Kostüme für Rani Mukherji, eine der bekanntesten indischen Schauspielerinnen, entwerfen. Auf der „Bollywood“-Tour achtet ihr langjähriger Assistent Faisal Sajed darauf, dass jedes der 1200-1500 Kostüme, die pro Jahr für diese Show gebraucht werden, in tadellosem Zustand ist. „Meine wichtigste Aufgabe ist, darauf zu achten, dass immer alle Kostüme dabei sind und keines vergessen wird oder verloren geht. Wir haben zwar Ersatzkostüme, aber wenn mal eines der Originalkostüme fehlt, gefährdet das die ganze Show.“ Voller Stolz spricht der Designer von der Energie, die durch „Bollywood“ jeden Abend freigesetzt wird: „Die Kostüme, das Licht, die Musik und vor allem die Tänzer, die unglaublich schnelle Choreographien zu bewältigen haben, machen für mich den Reiz aus.“ Doch gerade die Choreographien und die Vielseitigkeit verlangen einem Kostümbildner viel ab. „Im Vergleich zu den Filmproduktionen, in denen ich assistiert habe, müssen die Kostüme bei einer Live-Show viel farbenfroher und glitzernder sein. Auf der anderen Seite müssen sie aber auch robuster sein als beim Film, da sie hier viel mehr aushalten müssen.“ Vorbereitung ist für Faisal Sajed alles. Die Kostüme sind zwar recht praktikabel designed, so dass er und die beiden Dresser dem Ensemble im Laufe des Abends bei bis zu 20 Kostümwechseln helfen können. „Doch das geht nur, wenn die Kostüme jeden Abend sorgsam an der gleichen Stelle hängen. Sonst gibt es backstage ein großes Chaos.“ Neben den aufwändig bestickten traditionellen Kostümen und Kleidern, stechen vor allem die knappen Höschen und nackten Oberkörper der Tänzer ins Auge. Eine derartige Freizügigkeit ist man aus der Bollywood-Fabrik so nicht gewöhnt. „Das stimmt, aber das hier ist ja auch kein Film, sondern eine Show für ein westliches Publikum. Viele Songs wurden mit westlichen Tanzstilen choreographiert. Da lag es nahe, auch die Kostüme entsprechend modern zu designen. Aber am besten gefallen mir immer noch die klassischen indischen Saris.“

Die „Bollywood“-Show hat den Untertitel „Die Geschichte der Merchant-Familie“ – und der kommt nicht von ungefähr: Regisseur Toby Gough hatte die Idee zu dieser Show als er Vaibhavi Merchant kennen lernte, die mit ihren erst 30 Jahren schon eine feste Größe in der Filmwelt von Indien hat. Die junge Choreographin stammt aus einer alten Tänzer-Dynastie – den Merchants -, die mit Hiralal einen der bekanntesten Choreographen aus dem goldenen Zeitalter des Hindi-Kinos hervorbrachte. Und auch die Komponisten Salim und Sulaiman tragen den Nachnamen Merchant, auch wenn sie mit der Choreographin nicht verwandt sind.

Gelernt hat Vaibhavi Merchant ihr Handwerk von ihrem Onkel Chinni Prakash; ihren ersten eigen Bollywood-Film choreographierte sie bereits 1999 („Hum Dil De Chuke Chanam“ / „Ich habe mein Herz verschenkt“). Seitdem dreht die Merchant-Tochter einen Film nach dem anderen – in den letzten Jahren immer häufiger assistiert von ihrer Schwester Shruti Merchant. Während der Tour von „Bollywood“ achtet Shruti darauf, dass die Choreographien ihrer Schwester auch über Monate hinweg auf gleich bleibend hohem Niveau präsentiert werden. „Im letzten Sommer haben wir drei Monate lang intensiv in Bombay geprobt. Da unsere Tänzerinnen und Tänzer allesamt Profis sind, brauchen wir jetzt während des täglichen Tourablaufs keine langen Proben mehr, sondern können uns darauf beschränken, kleine Unsauberkeiten, die sich eingeschlichen haben zu beseitigen oder Unsicherheiten zu nehmen und Schrittfolgen wieder aufzufrischen.“

Die schwungvollen Choreographien, die teilweise sogar zweimal täglich vom Ensemble über die Rampe gebracht werden müssen, fordern doch auch sicherlich manchmal ihren Tribut in Form von Verletzungen? „Nein, Gott sei Dank hatten wir bisher nur kleinere Zwischenfälle. Und bei wirklichen Ausfällen ist unser Ensemble so flexibel, dass sich die einzelnen Tänzer problemlos auf andere Schrittfolgen umstellen können.“

Die vielfältigen Tänze und mitreißenden Melodien sind der Hauptgrund, warum „Bollywood“ auch in Deutschland erfolgreich Einzug gehalten hat. Doch sicher war das am Anfang nicht, wie Shruti erzählt: „Uns wurde von vornherein gesagt, dass das deutsche Publikum relativ reserviert ist und „schwer zu knacken“ sei. Wir haben uns der Herausforderung gestellt und schon bei der vierten Show in Berlin standen die Zuschauer von ihren Sitzen auf und tanzten mit. Inzwischen gehört Deutschland zu den Ländern, in denen wir am liebsten auftreten, weil das Publikum mitgeht und uns damit regelrecht zu Höchstleistungen anspornt.“

Ein ebenso ruhiger wie unerwartet talentierter Zeitgenosse sorgt für den strahlenden Teint des Teams: Ashtule Ramchandra, genannt Bala, kümmert sich als Make-Up Artist vorrangig um die Optik der Schauspieler. Jeden Tag schminkt er die Schauspieler eine Stunde vor Showbeginn: „Insgesamt habe ich für jede Show drei Stunden Arbeit – eine Stunde schminken der Schauspieler und während der zwei Vorstellungs-Stunden helfe ich backstage beim Ankleben von Schnurrbärten, Perücken, Hüten usw.“ Bala ist der einzige Mitarbeiter im Make-Up-Bereich, da ist es klar, dass er sich nicht um alle gleich intensiv kümmern kann: „Den Tänzerinnen und Tänzern zeige ich wie sie sich schminken sollen. Inzwischen machen das alle selbst.“

Bisher hat Bala in der indischen Filmindustrie gearbeitet und die bekanntesten Darsteller unter seinen Händen gehabt. Doch „eine Live-Show zu begleiten, ist viel spannender. Alles muss viel überzeichneter sein und immer auf den Punkt stimmen.“ Auch Bala hat eine Lieblingsszene bei „Bollywood“: „Die Sequenz, in der Shantilal [Ayeshas Merchants Großvater, Anm. d. Red.] stirbt, ist jedes Mal sehr ergreifend.“

Dass der sympathische Inder, der soviel Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt, auch ganz anders sein kann, sieht man im Tourtagebuch auf www.gobollywood.de. Dort imitiert der Masken-Profi den großen Bollywood-Schauspieler Amitabh Bachchan auf eindrucksvolle Weise, mit der er jeden Wettbewerb gewinnen würde. So verkürzt er dem Team so manche Wartezeit zwischen den Proben oder vor den Auftritten.

Das „Bollywood“-Team ist eine große glückliche Truppe. „Es wie in einer richtigen Familie – es gibt Leute, die magst Du und andere, mit denen Du nicht so gut auskommst.“ erzählt Carol Furtado. „Aber wir geben uns gegenseitig Halt, beten gemeinsam und treffen uns in der Küche, die wie auch bei uns zuhause, der wichtigste Ort – unser Kommunikationszentrum – ist.“ Auch wenn die eher traurige Umgebung einer Multifunktionshalle dies nicht widerspiegelt, man glaubt dem Team sofort, dass diese kleine indische Tour-Gemeinde funktioniert.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical