home 2020 Hier wird einem wohlig-warm ums Herz

Hier wird einem wohlig-warm ums Herz

Bitte wie? „Die Drei von der Tankstelle“ ist schon 90 Jahre alt? Dabei sind Songs wie „Ein Freund, ein guter Freund“, „Irgendwo auf der Welt“, „Die Liebe der Matrosen“ oder „Liebling, mein Herz lässt Dich grüßen“ doch wie so präsent als hätten sie den Film grad erst gestern gesehen.

Die Erklärung ist einfach: Es gibt zwei Versionen von dieser Operette. Der Originalfilm mit Willy Fritsch, Oskar Karlweis, Heinz Rühmann und Lilian Harvey in den Hauptrollen wurde 1930 in Berlin uraufgeführt, jedoch 1937 von der Film-Oberprüfstelle ohne Begründung verboten. 1955 wurde die ehemalige Tonfilmoperette unter demselben Namen von Hans Wolff mit Adrian Hoven, Walter Müller, Walter Giller sowie Germaine Damar als Hauptdarsteller erneut verfilmt. Auch wenn das Remake die Kritiker nicht gerade zu Begeisterungsstürmen hinriss, wurde sie doch dank der TV-Ausstrahlung gut 10 Jahre später einem breiteren Publikum bekannt und erfreut sich seither auch als Musicalkomödie großer Beliebtheit.

Auch das Berliner Schlossparktheater hatte das Stück vor 15 Jahren zeitweilig im Repertoire. In dieser Spielzeit zeigt das Theater Lüneburg im kleinen T.NT neben dem eigentlichen Großen Haus als 6-Personen-Stück mit gelungenen Regiekniffen und Live-Band.

Kurt, Hans und Willy kommen von einer Weltreise zurück und finden Willys ehemaligen Familienbesitz völlig heruntergewirtschaftet vor. Sie haben kein Geld, Willys Erbe ist durchgebracht und da schon der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht und ihnen auch die letzten Habseligkeiten abnimmt, beschließen die drei, sich von ihrem letzten Geld eine Tankstelle zu kaufen.

Da die drei Freunde im Schichtdienst arbeiten, lernen sie unabhängig voneinander die gleichermaßen hübsche und selbstbewusste Lilian kennen. Sie weiß nicht recht, für wen sie sich entscheiden soll und folgt dem Rat ihrer zukünftigen Stiefmutter Edith, alle drei zu einer Feier einzuladen. Eigentlich mag Lilian Edith überhaupt nicht, da diese ihrer Meinung nach ihren Vater, einen reichen Unternehmer, nur wegen seines Geldes ausnutzt. Doch Lilian ist so verzweifelt, dass sie hier den Rat einer erfahrenen Frau wie Edith nur zu gern annimmt.

Als Willy, Kurz und Hans feststellen, dass sie alle von derselben Frau eingeladen wurden, kommt es zum Streit. Lilian hat sich insgeheim für Willy entschieden, doch der lehnt aus verletztem Stolz jeden weiteren Kontakt mit ihr ab.

Erneut braucht es eine List von Edith, um wieder alle miteinander ins Gespräch zu bringen und nebenbei auch die die Hochzeit ihres Vaters kategorisch ablehnende Lilian wieder milde zu stimmen: Lilians Vater bietet Willy einen Direktorposten in einem befreundeten Unternehmen an, den dieser – sehr geschmeichelt – annimmt. Als er jedoch merkt, dass dies ein abgekartetes Spiel zu sein scheint, stellt er die Bedingung, dass seine beiden Freunde ebenfalls dort angestellt werden. Dadurch kann er die Freundschaft retten. Lilian gewinnt nach einiger Überzeugungsarbeit Willys Herz endgültig für sich und auch Edith bekommt nun endlich Lilians Segen und kann deren Vater, liebevoll Mops genannt, heiraten. Happy End!

Die charmanten, teilweise trotteligen, aber niemals wirklich bösartigen Protagonisten machen es den Zuschauern leicht, Zugang zur Handlung finden. Zudem sorgt der hohe Wiedererkennungsgrad von Werner Richard Heymanns Melodien sofort für gute Laune, mitschunkeln und deutlich hörbares Mitsummen. Man fühlt sich direkt wohl, wie auf Omas Couch mit Kakao in der Hand und einem Lächeln im Gesicht.

Die Bühne wird bestimmt von zwei Sofaelementen sowie der Zapfsäule. Links und rechts im Zuschauersaal befindet sich Vater Cossmanns Büro und das private Wohnzimmer. Die Darsteller bespielen das komplette Theater, Auf- und Abgänge finden nicht auf von der Seitenbühne statt, sondern auf über die Zuwege im hinteren Zuschauersaal. Dadurch werden die Figuren noch nahbarer. Zudem werden einige Zuschauer durch verschiedene Aktionen wie das Hochhalten des Vollstreckungsbescheids des Finanzamts oder als neue Freundinnen von Kurz und Hans direkt ins Geschehen mit eingebunden. Ein großer Spaß für alle – außer für die Damen, die mehr oder weniger freiwillig mit auf die Bühne dürfen.

Eine kleine Bühne mit einer Autothematik nicht zu überfrachten, ist nicht immer leicht. In Lüneburg agieren die Darsteller mit übergroßen, sehr detailgetreuen Spielzeugautos, die auch mal als Handtasche, Einkaufskorb oder Telefon fungieren. Überaus charmant und clever von Barbara Bloch, die auch hier für die Bühne verantwortlich zeichnet!

Dass der zweite Akt im Foyer beginnt und die Darsteller ihre erste Nummer inmitten von Pausengetränken und Snacks zum Besten geben, begeistert alle Anwesenden. Regisseur Friedrich von Mansberg steht zwischen den Zuschauern und darf direkt die ersten Fragen zu dieser außergewöhnlichen Idee beantworten. Auch dass einer der Sänger im Fahrstuhl zur Gruppe hinzustößt und man ihn dort – alle Darsteller singen unverstärkt – nicht hört, sorgt für Lacher auf allen Seiten.

Dass alle Darsteller quasi „zum Anfassen“ nah sind, ist ein großer Pluspunkt dieser Inszenierung. Einzig bedauerlich ist, dass die fünfköpfige Band unter der Leitung von Phillip Barczewski, den Gesang manchmal schlicht übertönt. Denn die für dieses Stück besetzten Darsteller spielen und singen sehr überzeugend. Alle sind feste Ensemblemitglieder des Theaters Lüneburg und stehen dort folglich auch noch in vielen weiteren Stücken auf der Bühne. Was ihnen allen gemein ist, ist ihr klassischer Gesangshintergrund. Dieser passt perfekt zu Heymanns Melodien. Auch das von allen in Perfektion übernommene rollende „R“ trägt viel zur Authentizität des Stücks bei.

Alexander Tremmel gibt einen sehr zielbewussten und sympathischen Willy. Er singt wunderschön wienerisch, was perfekt passt, und übernimmt ganz klar die Führungsrolle.

Hans wird von Steffen Neutze einerseits etwas schüchtern, andererseits aber auch sehr energisch dargestellt. Gesanglich ist er häufig zu leise, dabei zeigt er doch an einigen Stellen, dass er ausreichend Druck aufbauen kann, um sich gegen die Band durchzusetzen. Karl Schneider spielt den eher faulen und den leichten Künsten zugetanen Kurt. Gesanglich kann man sich keine bessere Besetzung wünschen, denn „Hallo, Du süße Frau“ ist eines der Highlights des Abends.

Die drei spielen sich gekonnt die Bälle zu, doch als sie nach dem unerwarteten Zusammentreffen mit Lilian in Ediths Club ihren Frust im Alkohol ertränken, schüttet sich das Publikum erst richtig aus vor Lachen. Ein tolles Trio!

Franka Kraneis spielt eine sehr selbstbewusste Lilian, die nicht nur ihren Vater, sondern auch die Drei von der Tankstelle mit viel Charme um den Finger wickelt. Ihre Mimik, Gestik und Akzentuierung beim Singen passen perfekt in die damalige Zeit. Ihre Duette mit den drei Tankstellen-Betreibern sind alle sehr unterschiedliche und auf ihre Art sehr süß.

Als clevere Edith steht Sarah Hanikel auf der Bühne des T.NT. Einerseits wirkt sie als Attraktion eines Amüsierclubs in ihrer Kleidungswahl eher billig, anderseits macht sie dies aber durch ihre Lebenserfahrung und das nötige Maß an Durchtriebenheit wett. Sie ist nicht die stärkste Solistin und bringt „Die Liebe der Matrosen“ – stilecht im Matrosen-Kostümchen – nicht sehr souverän über die Rampe, doch das Gefühl stimmt. Und darauf kommt es an diesem Abend an.

Ulrich Kratz ist gleich in fünf kleinen Rollen zu erleben, wobei die von Vater Cossmann die größte ist. Er spricht in verschiedenen Dialekten, was ihm mal mehr, mal weniger gut gelingt, aber ob nun als polternder Anwalt oder von den beiden Frauen in seinem Leben gegängelter „Mops“ – Kratz erntet viele Sympathiepunkte. „Hoppla, jetzt komm ich“ zeigt seine komische Seite. Er ist der Grand Seigneur des Ensembles, daran gibt es keinen Zweifel.

„Die Drei von der Tankstelle“ ist ein gelungenes Stück deutscher Film- und Bühnengeschichte. Von Mansberg hat es mit Fingerspitzengefühl und viel Menschlichkeit inszeniert. Charaktere, Bühne und Kostüme ergeben ein rundum gelungenes Gesamtbild und so verlassen die Zuschauer das Theater wenn nicht summend und singend, so zumindest versonnen lächelnd.

 

Michaela Flint
gekürzt erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: Theater Lüneburg
Besuchte Vorstellung: 17. Januar 2020
Darsteller: Alexander Tremmel, Steffen Neutze, Karl Schneider, Franka Kraneis, Sarah Hanikel, Ulrich Kratz
Regie / Musikalische Leitung: Friedrich von Mansberg / Phillip Barczewski
Fotos: Theater Lüneburg / Andreas Tamme