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Monsieur Claude und seine Töchter

Claude Verneuil und seine Gattin Marie sind stolze Eltern von vier Töchtern. Bei der Wahl der Lebenspartner ihrer Kinder stoßen die erzkonservativen Gaullisten und Katholiken an ihre Grenzen: ein Chinese, ein Jude und ein Araber sind die Männer der ersten drei Töchter. Durch dieses Minenfeld an Klischees und Stereotypen wandert insbesondere Claude sehr treffsicher: kein Aufeinandertreffen, an dem sich nicht ein Streitgespräch über Rassismus und Religionen entwickelt. Auch die drei Ehemänner gießen regelmäßig Öl ins Feuer, denn so ganz freimachen können sie sich von den allgegenwärtigen Vorurteilen auch nicht.

In diese ohnehin angespannte Familienkonstellation platzt Nesthäkchen Laure mit ihren Hochzeitsplänen. Sehr zur unverhohlenen Freude ihrer Eltern ist ihr Auserwählter ein Franzose und auch noch Katholik. Was für ein Glück!

Dass Lauras Verlobter jedoch maximalpigmentiert ist und dessen Vater ebenfalls in einer tradierten Welt voller Vorurteile lebt, verkompliziert die Hochzeit ungemein.

Spätestens seit dem Kinohit mit Christian Clavier als grantelnder Monsieur Claude (2014) ist die abwechslungsreiche Familiengeschichte der Verneuils vielen bekannt. Von Fremdschämen über Erstaunen, herzhaftem Lachen bis hin zu schmachtenden Seufzern erzielte die Komödie eine große emotionale Bandbreite beim Publikum.

Stefan Zimmermann hat die Handlung für die Theaterbühne umgearbeitet, die nunmehr in der dritten Spielzeit im Hamburger St. Pauli Theater in der Regie von Ulrich Waller zu sehen ist.

Das Publikum wird mithilfe von Hochzeitsfotos der drei älteren Schwestern schnell ins Geschehen hineingeholt: Odile hat David Benichou geheiratet, Isabelle hat sich mit Rachid Ben Assem vermählt und Ségolène hat Chao Ling ihr Ja-Wort gegeben.

Schon die erste Szene, in der beim gemeinsamen Essen ausführlich über die Beschneidung von Odiles und Davids Sohn diskutiert wird, ist irrwitzig. Die Stimmung kippt als Rachid seinen Schwiegervater als Rassisten bezeichnet. Auch Marie beteiligt sich aktiv an den Diskussionen und so geht man im Streit auseinander.

Sie ist es auch, die am meisten unter der angespannten Situation leidet. Da ihr die Gespräche mit dem Pfarrer von Chinon nicht mehr helfen, begibt sie sich in psychologische Behandlung, die schnell eine ausgewachsene Depression zutage führt. Sie hängt all ihre Hoffnungen an ein versöhnliches Weihnachtsessen mit allen Kindern und deren Familien. Natürlich plant sie dafür eine koschere, eine Halal- und eine glasierte Gans ein, damit keiner ihrer Schwiegersöhne durch das klassische französische Weihnachtsessen brüskiert wird.

Die Töchter instruieren ihre Ehemänner unmissverständlich, dass sie sich angemessen zu verhalten haben und nicht jeden Kommentar persönlich nehmen oder durch eine entsprechende Reaktion würdigen sollten.

Das Essen läuft dann auch tatsächlich weitgehend harmonisch ab, die Männer singen sogar zusammen die Marseillaise als sie sich über Fußball unterhalten.

Wenn sich Laure nun noch mit dem Dorf-Streber Xavier verkuppeln ließe, wäre Claudes und Maries Welt wieder in Ordnung.

Doch Laure mag sich nicht länger verstellen und eröffnet ihren Eltern, dass sie sich mit Charles verlobt hat. Die Eltern sehen dem Treffen mit dem vermeintlichen perfekten Schwiegersohn voller Erwartung entgegen. Als Laure dann jedoch mit „dem schwarzen Charles“ (Zitat) zum Dinner kommt, sind beide vollkommen überfordert und enttäuscht. Sie ertränken ihren Frust im Alkohol, was im Fall von Claude zu herrlich komischen Entgleisungen führt.

In der Folge beginnt Marie, ihrem Mann die Schuld daran zu geben, dass das Verhältnis zu den Kindern so zerrüttet ist. Dabei ist auch sie nicht frei von kleingeistigem Gedankengut, was spätestens bei dem hinkenden Vergleich ihrer (geheilten) Panik vor Feldmäusen deutlich wird, die sie mit ihrer Angst vor Ausländern gleichsetzt.

Dass auch Charles sein Päckchen zu tragen hat, zeigt sich als die Eltern des Brautpaars miteinander skypen, um sich kennenzulernen. André, Charles Vater, macht keinen Hehl aus seinen Vorbehalten gegenüber „dem weißen Mann“. Madeleine, Andrés Gattin, kennt ihren Mann sehr gut, kann ihm diese ungerechtfertigten Denkmuster aber auch nicht abgewöhnen.

Doch Laure und Charles halten an der Hochzeit fest. Am Abend vor dem großen Tag sind die Väter so frustriert, dass sie gemeinsam was trinken gehen. Sie enden nach einer feucht-fröhlichen Nacht im Dorfgefängnis, das sie nur mit Rachids Hilfe rechtzeitig vor der Hochzeit verlassen können. Die Väter haben in dieser Nacht viele Gemeinsamkeiten entdeckt und reden so – zur allgemeinen Verwirrung – auf Laure ein, welche die Hochzeit nun doch absagen will, zumal Marie plant, sich von Claude zu trennen. Diese Schuld möchte Laure nicht auf sich und ihre Ehe laden.

Aber am Ende wird natürlich doch geheiratet und die Zukunft für die Multi-Kulti-Familie sieht sehr rosig aus.

Der Erfolg dieses Stücks steht und fällt mit den Darstellern. In Hamburg wurde mit Michael Prelle ein exzellenter Schauspieler für die Rolle von Monsieur Claude engagiert. Er spielt mit viel Einsatz und in jeder Sekunde glaubwürdig. Die Naivität und Weinseligkeit von Claude bringt er urkomisch über die Rampe. Obwohl Claude sehr in der Vergangenheit zu leben und wenig Interesse am Überdenken seiner Verhaltensmuster zu haben scheint, wirkt Prelles Monsieur Claude dennoch sympathisch.

Als leicht verstrahlte, immer um Harmonie bemühte Marie ist Angela Schmid zu erleben. Sie erinnert in ihrem Spiel mehr als vage an Inge Meisel, was ihr schon von Beginn an viele Bonuspunkte einbringt. Schmid kann sowohl die zickigen als auch die verletzten Gefühle von Marie sehr gut transportieren und harmoniert sehr gut mit Prelle.

Love Newkirk und Eric Lee Johnson stehen als Madeleine und André Koffi auf der Bühne des St. Pauli Theaters. Johnson spielt herrlich überspannt und energisch. Ein typisches Alphatier. Newkirk gleicht diesen polternden Charakter beschwichtigend aus. Es gelingt ihr mit viel Charme immer wieder eine Brücke zu schlagen. Dass auch sie durchaus mehr Energie hat und keinesfalls nur in der zweiten Reihe steht, blitzt in einigen Momenten auf.

Das junge Brautpaar wird von Hannah Rebekka Ehlers und Patrick Abozen gegeben. Beide spielen rollendeckend und gerade Abozen stellt sein Gespür für komische Momente unter Beweis.

Auch die anderen drei Paare haben ihre starken, zumeist lustigen Momente: Andrés Mendez, der als Shao über reichlich Humor verfügt und über die klischeehaften Vorstellungen seiner Schwager herzlich lachen kann. Holger Dexne als strenger Rachid wird ganz weich, wenn es um Fußball geht, und den glücklosen David spielt Patrick Heyn ebenfalls sehr überzeugend.

Dass in allen drei Ehen die Damen das Sagen haben, ist für jeden Zuschauer mehr als offensichtlich: Victoria Fleer als Odile ist verständnisvoll, wenn David mal wieder mit einer Geschäftsidee scheitert, und versucht sich vergeblich als große Schwester aus der Verantwortung zu stehlen, als es darum geht, Laure von der Hochzeit abzuraten. Isabelle, die weder Zigaretten noch dem Wein gegenüber abgeneigte Klischee-Französin, wird von Anneke Schwabe sehr glaubhaft verkörpert. Gleiches gilt für Marina Lubrich als Ségolène. Wenn sie ihr Kind auf dem Spielplatz auf Chinesisch zurechtweist, ist das herrlich unerwartet.

Doch der Star des Abends, was nicht zuletzt auch der nicht enden vollende Applaus belegt, ist Michael Prelle. Er spielt diese durchaus kritisierbare Rolle mit viel Fingerspitzengefühl und so gelingt ihm die Gratwanderung vom konservativen Gaullisten, der mehr oder weniger freiwillig im 21. Jahrhundert ankommt, exzellent.

Michaela Flint

Theater: St. Pauli Theater, Hamburg
Besuchte Vorstellung: 22. Dezember 2019
Darsteller: Hannah Rebekka Ehlers, Patrick Heyn, Victoria Fleer, Angela Schmid, Michael Prelle, Anneke Schwabe, Holger Dexne, Marina Lubrich, Andrés Mendez, Love Newkirk, Eric Lee Johnson
Regie: Ulrich Waller
Fotos: Hanna Glück