home 2018 Ein hochkarätig besetzter, einzigartiger Liederzyklus rund um das Thema Aids und HIV

Ein hochkarätig besetzter, einzigartiger Liederzyklus rund um das Thema Aids und HIV

Janet Hood (Musik) und Bill Russell (Buch und Texte) haben in den 1980er Jahren das Stück „Elegies For Angels, Punks and Raging Queens“ geschrieben – zu einer Zeit da Aids und HIV die Schlagzeilen beherrschten, da die Viruserkrankung immer mehr (auch prominente) Menschen befiel und keine Heilung in Sicht war. HIV ist nach wie vor nicht heilbar, aber heutzutage kann man mit entsprechender Medikation ein ganz normales Leben führen und überträgt das Virus auch nicht mehr an seine Mitmenschen. Das macht HIV aber nicht weniger gefährlich. An sich ist und bleibt es eine tödliche Viruserkrankung.

In den 1980er Jahren war Aids noch als reine „Schwulenerkrankung“ verschrien. Heute weiß man, dass jeder Mensch auf unserem Planten diese Erkrankung bekommen kann. Das mit dieser Krankheit verbundene Stigma ist bis heute existent, obwohl man meinen mag, dass AIDS ein inzwischen abgeschlossenes Kapitel in unseren Geschichtsbüchern ist. Doch auch heute noch erkranken jährlich 1.000 Menschen allein in Deutschland an Aids. Das Ziel der Deutschen Aids Hilfe ist es, bis 2020 keine Neuerkrankungen mehr zu verzeichnen. Dabei helfen auch solche Abende wie dieses besondere Konzert im Berliner Admiralspalast am 10. Dezember 2018. Denn nur, wenn wir weiter darüber reden, können wir auch aktiv dabei helfen, das Virus zu bekämpfen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inspiriert wurde das Stück vom Aids Memorial Quilt, welcher Hinterbliebenen die Möglichkeit gibt, mit einem kreativen Stück Handwerkskunst der Verstorbenen zu gedenken. Als Aids vor gut 30 Jahren in das kollektive Bewusstsein rückte, erhielten viele Opfer keine angemessene Beerdigung. Inzwischen zählt dieses Mosaik an Erinnerungen mehr als 44.000 Einzelteile und wächst immer noch weiter.

Robin Kulisch und Daniel Witzke haben sich der 30 Monologe und 10 Songs angenommen. Witzke hatte das Stück schon 2007 im Hamburger Schmidt Theater in einer deutschen Fassung auf die Bühne gebracht, doch für die Berliner Aufführung wurde alle Songtexte und Monologe noch einmal bearbeitet, um ein einheitliches Komplettpaket zu schaffen.

Wie die beiden Produzenten in der kurzen Einleitung erzählen, war der Abend zunächst eher kleiner geplant, doch es sprach sich in der Musicalszene sehr schnell herum und immer mehr Künstler baten ihre Unterstützung an und wollten dabei sein. Am Ende bestand das Ensemble aus 57 Darstellern aus dem deutschsprachigen Raum sowie einem Chor der Universität der Künste (Berlin).

Philipp Gras und Anne Sophie Keckeis sorgen am Klavier und Cello für die stimmungsvollen musikalischen Rahmen. Ansonsten ist das Studio im Admiralspalast spartanisch ausgestattet und bleibt düster, was den sehr persönlichen Geschichten, die an diesem Abend erzählt werden, noch mehr Nachdruck verleiht.

Den Auftakt macht Ana Milva Gomes mit einer sehr warmen, gefühlvollen Interpretation des Titelsongs. Thomas Wissmanns folgender Monolog ist begeisternd, mitfühlend und liebevoll zugleich, was die emotionale Bandbreite an diesem Abend andeutet. Dominik Hees ist Josh, der uns eindrücklich davon berichtet, wie sich das Zusammenleben zwischen ihm und seinen fünf Freunden durch Aids verändert hat. Seine überbordende Energie findet ein Ende im Quartett „Ich halt mich fest an Dir“, das von Volkan Baydar, Gino Emnes, Jana Stelley und Denise Jastraunig gesungen wird. Dass die Künstler nur diesen einen Tag für eine gemeinsame Probe hatten und ansonsten jeder für sich die Texte und Songs einstudiert hat, merkt man keine Sekunde.

Ein sehr knapp bekleideter Carsten Lepper nimmt uns mit in das Seelenleben von Nick: Vordergründig ein ruppiger, arroganter Yuppie; hinter dieser Fassade verbirgt sich jedoch ein zutiefst verletzter Junge. Das Publikum bekommt keine Zeit, das Gesehene zu verarbeiten, schon stehen Ethan Freeman und Chris Murray auf der Bühne und geben ein sehr spannendes Duett („Jetzt nicht mehr“) zum Besten.

Doch hiermit ist der Spannungsbogen im ersten Akt noch nicht ausgereizt: Es folgt ein zu Tränen rührender, sehr intensiver Monolog von Iris Schumacher, die uns an der Geschichte von Rebecca teilhaben lässt, welche von ihrem Mann mit HIV infiziert wurde und ihre ungeborenen Kinder damit angesteckt hat. Das Studio bebt, wenn sich Iris Schumachers Trauer und Wut Bahn brechen. Ray (dargestellt von Arne Stephan) ist der nette Junge von nebenan, der aufgrund seiner Liebe zu Brian mit der Gesellschaft kollidiert. Patrick Stanke komplettiert diesen hochemotionalen Dreiklang mit „Und der Regen hört nicht auf“. Der Song allein berührt schon sehr, doch die Verbindung von sparsamer Musik, gefühlvollen Texten und Stankes warmer Stimme ist schlicht perfekt.

Alexander Soehnle hat es nicht leicht, diese Dramaturgie aufrecht zu erhalten, doch seine Geschichte vom Underdog Walter, der nach dem Ausbruch der Erkrankung in sein biederes Heimatdorf zurückkehrt und dort trotz aller schmerzhafter Erinnerungen mit offenen Armen empfangen wird, trifft mitten ins Herz.

Man wird emotional hin und hergeworfen. Das Finale des ersten Akts bildet „Celebrate“, in dem besonders Aisata Blackman gegenüber Jessica Kessler und Barbara Obermeier hervorsticht.

In der zweiten Hälfte sind es insbesondere Ulrich Allroggen und Leon van Leuwwenberg, die einen wachrütteln: Paul (Allroggen) steht zu seiner Krankheit, während Nat (Leuwwenberg) alles negiert und dagegen predigt. Doch die Leugnung der Realität hat auch Nat nicht vor dem Aids-Tod bewahrt. Auch die erfolgreiche Businessfrau Claudia (beeindruckend gespielt von Franziska Becker) schüttet uns ihr Herz aus und dankt ihrer Assistentin (Maya Hakvoort), die ihrer Hilflosigkeit gegenüber Aids mit dem Song „Ich weiß Dir nicht zu helfen“ auf sehr berührende Art Ausdruck verleiht.

Dass Lachen Balsam für die Seele ist, beweist die Drag Queen Jurassica Parker, der es gelingt, dem Publikum das vielfach im Hals steckenbleibende Lachen zu entlocken. Die Energie, mit der Reina Lemnitz ihrer Rolle Helen Ausdruck verleiht, holt einen sofort wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Monika Julia Freeman als durchgeknallte Shopping Queen leitet über zu dem gemeinsamen Song „Alles Geld der Welt“ mit Bettina Meske und Brigitte Oelke, der ganz klar von Meske und Oelke dominiert wird. Die beiden Ladies sind der Inbegriff von Bühnenpräsenz!

Kathi Damerows Monolog als Alma, die ihrem Mann für das „Geschenk“ nach dem Fremdgehen dankt, während sie ihr Geschäft auf der Toilette verrichtet, ist sehr kreativ und lustig, aber dennoch nicht weniger ergreifend.

Zum Schluss zieht uns noch einmal Thomas Wissmann in seinen Bann, bevor Armin Kahl als Miles seinen Gedanken über das Gehen und Loslassen nachhängt. „Ich lass Dich gehen“ (Leadgesang: Serkan Kaya) rundet dieses Zyklus aus Liedern und Monologen ab.

Während des Abends haben die Künstler nach und nach auf der kleinen Tribüne platzgenommen und ihren Kollegen im Rampenlicht teilweise selbst mit Gänsehaut und Tränen in den Augen zugesehen. In den Finalsong stimmen alle ein, das Publikum wird zum Mitklatschen animiert und die Anspannung auf allen Seiten löst sich sichtlich.

Elegies“ ist kein Musical über Aids. Das Stück drückt auch nicht banal auf die Tränendrüse. Vielmehr berührt jeder der 40 Monologe auf seine ganz eigene Weise – einige unfreiwillig komisch, andere sehr frustriert, verleugnet, mitleidsvoll oder aggressiv. Dass hier die Geschichten von 40 Aids-Opfern erzählt werden, ist immer präsent.

 

 

 

 

 

 

 

 

Autor Bill Russell war an diesem Tag in Berlin selbst mit dabei und wirkt sehr ehrfurchtsvoll beim Anblick dessen, was Robin Kulisch und Daniel Witzke hier geschaffen haben. Diese dankbare Haltung zeigt sich auch bei vielen Zuschauern und so manch einer wünscht sich die Wiederholung dieses Abends – gern auch mit einem kleineren Ensemble.

Aids ist nicht verschwunden, bloß weil es in den Medien keine Rolle mehr spielt. Reden wir darüber und sorgen so dafür, dass das Bewusstsein für diese Viruserkrankung wach bleibt.

Michaela Flint

Theater: Studio im Admiralspalast, Berlin
Premiere: 10. Dezember 2018
Regie / Übersetzung: Daniel Witzke / Robin Kulisch
Fotos: Carolin Weinkopf Photography