home 2017 Licht und Schatten in der Burgruine der Clingenburg

Licht und Schatten in der Burgruine der Clingenburg

„Cabaret“ ist fröhlich und traurig, voller Liebe und tiefem Hass, erfrischend jugendlich und liebevoll gealtert. Mit diesen Widersprüchen muss sich jeder Regisseur auseinandersetzen, der Joe Masteroffs, John Kanders und Fred Ebbs Klassiker auf die Bühne bringt. Marcel Krohn stellte sich in diesem Jahr dieser Aufgabe für die Clingenburg Festspiele. Beim sehr moderaten Schussapplaus muss man konstatieren, dass diese Inszenierung ihre guten und weniger guten Momente hat.

Auf der Haben-Seite stehen ganz klar Werner Wulz als frech-frivoler Conférencier Emcee, Claus Wilcke als Herr Schultz und die ansteckende Spielfreude von Mariyama Ebel. Nicht so gelungen ist hingegen die Darstellung der Nationalsozialisten, die mit einem spiegelverkehrt geschriebenen ANGST auf der Armbinde anstelle des durchaus angebrachten Hakenkreuzes auftreten (zumal diese auch im Programmheft als „SA-Leute“ bezeichnet werden), sowie das Weglassen des weltbekannten Showstoppers „Mein Herr“. Zudem fehlt es dieser Inszenierung irgendwie an Handlung. Man hetzt hier leider von Song zu Song und nimmt sich keine Zeit, die einzelnen Charaktere detaillierter herauszuarbeiten.

Wulz füllt die Rolle des Gastgebers hervorragend aus. Seine Witze sind klischeebeladen und leicht trashig. Auch gesanglich füllt er die Rolle des Erzählers sehr gut aus. Fabian Baecker nimmt man die Rolle des schüchternen, teilweise ängstlichen Cliff in jeder Sekunde ab. Er spielt mit sehr viel Gefühl, was er auch mit seiner Stimme zum Ausdruck bringen kann.

Ramona Schmid und Maik Eckhardt übernehmen die Rollen der Prostituierten Fräulein Kost und des Nazis Ernst Ludwig. Sie haben kaum Text und treten nur bei der Verlobungsfeier von Fräulein Schneider und Herrn Schultz wirklich in Erscheinung.

Franziska Krumwiede gibt eine wunderbar resolute, herzensgute Fräulein Schneider, doch besonders viel Freude macht Claus Wilcke als Herr Schultz, da er den jüdischen Obstverkäufer mit so viel Einfühlungsvermögen und Zuneigung spielt, dass man sich schützend vor ihn stellen möchte, wenn die Scheiben seines Ladens eingeworfen werden und seine Verlobung mit Fräulein Schneider daran zerbricht.

Die Kit Kat Girls (Franziska Lißmeier, Sandra Leitner, Nadja Görts, Susanne Anders) wirbeln in sehr schönen Kostümen (Marianne Heide) über die Bühne, sind quietschig und sexy – genauso wie man es erwartet. Im Normalfall kommt keine von ihnen an Sally Bowles heran. Doch in dieser Inszenierung ist Sally etwas plump, ihre Kleider sind nicht wirklich schön, sie trägt Doc Martins und trägt deutlich weniger Sexappeal zur Schau bei als ihre Kolleginnen. Entsprechend wirkt Mariyama Ebel etwas ungelenk – nicht nur tänzerisch, sondern auch im Schauspiel. Ihre Dialoge wirken aufgesetzt, was so gar nicht zu ihrer positiven Ausstrahlung und ihrer Energie passen mag.

Als nach dem „Vaterland“-Lied der SA auf Fräulein Schneiders und Herrn Schultz Verlobung plötzlich Pause ist, ist das Publikum sehr verstört. Viele fragen sich: „Ist das das Ende des Musicals?“ Nein, ist es nicht. Und zum Auftakt des zweiten Akts lässt Krohn die Kit Kat Girls in tarnfarbenen Kleidchen und mit Springerstiefeln tanzen. Das passt hervorragend zu den Bomberjacken der Nazis und holt das Publikum sofort wieder ins Geschehen zurück.

Was leider in diesem Jahr deutlich auffällt, sind die gesanglichen Schwächen des Ensembles. Mit Ausnahme von Wulz und Wilcke hört man bei allen schiefe Töne, inklusive Orchester, das bei „Vielleicht diesmal“ sehr disharmonisch ist.

Dass Sally eine wankelmütige Person ist, die sich an nichts und niemanden bindet, wird im Lauf des Stücks nur allzu deutlich. Als sie ihren heißgeliebten Pelzmantel verkauft, um ihr Kind abzutreiben, führt dies zum endgültigen Bruch mit Cliff. Den anschließenden Titelsong interpretiert Ebel mit unglaublicher Kraft und Abscheu, sie wirkt fast wahnsinnig vor Schmerz und Liebeskummer.

„Cabaret“ ist keine leichte Kost, das zeigt diese Produktion sehr klar. Das Publikum ist entsprechend mitgenommen und so gibt es nur einen (imaginären) Vorhang für die Darsteller, die zum Schlussapplaus alle in der Kleidung von KZ-Gefangenen erscheinen. Das allein spricht schon Bände, denn vergangenes Jahr bei „Hair“ und auch im Jahr zuvor bei „Dracula“ gab es stehende Ovationen und „Zugabe“-Rufe.

Die ernste Thematik von „Cabaret“ hat Krohn sehr gut und stringent aufgenommen. Das leichte, ausgleichende des Kabaretts und die Tiefe der Charaktere fallen diesem Schwerpunkt leider zum Opfer, was das ansonsten mitreißende Stück eher schwer verdaulich macht.

Michaela Flint
erschienen in in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: Clingenburg, Klingenburg
Besuchte Vorstellung: 17. Juni 2017
Darsteller: Mariyama Ebel, Werner Wulz, Claus Wilcke, Fabian Baecker, Ramona Schmid, Maik Eckhardt , Franziska Krumwiede, Franziska Lißmeier, Sandra Leitner, Nadja Görts, Susanne Anders
Musik / Regie:  John Kander / Marcel Krohn
Fotos: Björn Friedrich