home 2017 Eine sehr deprimierende Inszenierung mit einer starken Frau im Mittelpunkt

Eine sehr deprimierende Inszenierung mit einer starken Frau im Mittelpunkt

Andrew Lloyd Webbers und Don Blacks „Tell me on a Sunday“ hat ein bewegtes Leben hinter sich: Ende der 1970er ist das Stück als erster Teil des Zweiakters „Song and Dance“ entstanden. Im Laufe der Jahrzehnte wurden neue Songs hinzugefügt, andere gestrichen – insbesondere für die Broadway-Premiere wurde die Show in größerem Umfang überarbeitet. 2003 wurde das Stück für die Neuauflage im West End wieder zu einem Einakter: Der zweite, getanzte Akt entfiel. Die Handlung wurde leicht modernisiert (Kommunikation via E-Mail) und weitere neue Songs integriert. Diese Fassung wurde für eine UK-Tour 2010 noch einmal umgekrempelt und Songs aus der Ursprungsfassung wieder mit aufgenommen (u. a. „The Last Man in My Life“). An dieser letzten größeren Produktion orientiert sich Regisseur Friedrich von Mansberg mit seiner aktuellen Inszenierung von „Tell me on a Sunday“ im T.NT Studio in Lüneburg.

Allerdings nimmt sich von Mansberg beträchtliche Freiheiten in der Interpretation der Hauptfigur, die er als unselbständige, depressive Alkoholabhängige skizziert, die ihren einzigen Ausweg im Suizid sieht. Auch musikalisch hält er sich nicht ganz an die Vorgaben, streicht Songs, lässt „The Last Man in My Life“ dafür unzählige Male erklingen und vermischt zudem auch noch englische und deutsche Songtexte und Dialoge.

„Tell me on a Sunday“ ist ein One-Woman-Stück. Seine Überzeugungskraft steht und fällt mit der einzigen Darstellerin der namenlosen Hauptfigur, die bereits von Größen des Showbiz wie Marti Webb oder Bernadette Peters gespielt wurde. Große Fußstapfen, keine Frage. Doch die 32-jährige Dorothea Maria Müller muss sich hier nicht verstecken: Sie meistert die abwechslungsreichen Songs in allen Höhen und Tiefen. Ihrem klaren, sauberen Mezzosopran zu lauschen ist ein Genuss, auch wenn an der ein oder anderen Stelle „mehr Dreck“ in der Stimme vielleicht besser gewesen wäre. Zudem spielt sie die verzweifelte, sich nur über einen Partner identifizierende, unselbständige Mittdreißigerin absolut glaubwürdig.

Auch der Wechsel zwischen den Sprachen (am extremsten beim strophenweisen Wechsel von Deutsch und Englisch bei „Takte that look off your face“) gelingt ihr gut, selbst wenn es nicht sehr einleuchtend ist, warum sie Dialoge auf Deutsch beginnt und dann auf Englisch fortsetzt. Sicherlich hätte es auch Müller gut getan, hier eine einheitliche Linie zu verfolgen.

Dass sie jedoch dieses anspruchsvolle Stück parallel zu ihrem Engagement als Evita (ebenfalls in Lüneburg) spielt, verdient Respekt. „Tell me on a Sunday“ ist, insbesondere in dieser düsteren, verzweifelten Inszenierung, keine leichte Aufgabe – weder gesanglich noch schauspielerisch.

Die Anlage der Hauptfigur als hilfloses Mäuschen ohne jegliche Hoffnung steht jedoch im Gegensatz zu früheren Produktionen. Während das Stück in anderen Inszenierungen immer so endete, dass die Protagonistin sich eingestand, dass es gar nicht schlimm ist, keinen Partner zu haben und sie auch allein klarkommt – sie also einen Silberstreif am Horizont sieht, gibt sich von Mansbergs Hauptfigur schon zu Beginn dem Alkohol hin und stirbt am Ende an einer Mischung aus Tabletten und Alkohol.

Die Protagonistin ist extrem emotional und ihre Gefühle schwanken im Laufe des Stücks unzählige Male von himmelhochjauchzend (wenn sie gerade mal wieder frisch verliebt ist) bis zu Tode betrübt (wenn sie gerade mal wieder verlassen wurde). In Lüneburg lernt das Publikum die junge Frau in einer Verliebtheits-Phase kennen. Sie ist bereits in New York und kollidiert im nächsten Moment mit ihrem Angebeteten, woraufhin sie das erste Mal in ein tiefes Loch stürzt. Dann verschlägt es sie zum Filmagenten Sheldon Bloom nach Kalifornien, was aber auch nicht gut geht. Zurück in New York gerät sie erst an einen jungen Fotografen, der sie aber betrügt und dann an einen verheirateten Mann mit Kind, dem sie seine Versprechungen nur allzu gern glaubt. Schließlich entpuppt sich aber auch dieser als Luftnummer. Sie bleibt allein mit Alkohol und Tabletten zurück und geht den Weg ohne Rückkehr.

Warum nach dem finalen Blackout jedoch das Licht noch einmal angeht und die Hauptdarstellerin in derselben Position wie zuvor zu einem instrumentalen Solo verharrt, ist verwirrend. Toter als tot geht doch nicht, oder war das nur ein Regiefehler (das Licht hätte nicht angehen dürfen), der leidlich überbrückt wurde?

 

Als Zugabe wurde am Premierenabend noch „Send in the Clowns“ gegeben. Eine der schönsten Musical-Balladen fürwahr, doch wurde dieser Song von Stephen Sondheim bereits 1973 für sein „A Little Night Music“ geschrieben und hat – außer dass die Sängerin dieses Songs ebenfalls vertanen Chancen nachtrauert – keinen Bezug zu „Tell me on a Sunday“. Wieviel treffender wäre es gewesen, den Showstopper „Take that look off your face“ noch einmal mit all der in ihm schlummernden Energie zu performen.

Im Laufe von gut 70 Minuten muss sich Dorothea Maria Müller diverse Male umziehen – natürlich auf der Bühne – was sie manchmal in echte Zeitnot bringt oder dazu führt, dass die Band längere instrumentale Sequenzen spielt, um dies zu überbrücken. Auch für diese Kostümschlacht zeichnet Friedrich von Mansberg verantwortlich.

Intoniert werden Lloyd Webbers Kompositionen von einer Drei-Mann-Band (Keyboard, Drums, Klarinette) unter der Leitung von Robin Davis. Phasenweise klingt alles ein bisschen sehr arg nach Hammondorgel („You made me think you were in love“) und die Vielseitigkeit der Songs bleibt auf der Strecke. Auch dass die Band die Sängerin nicht gerade selten übertönt, trägt nicht zum Hörgenuss bei.

Die Idee, dass sich Hauptfigur permanent selbst filmt, ist gut zumal wenn die Hauptdarstellerin so telegen ist wie Müller, obwohl der Sinn durchaus hinterfragt werden kann, da sie sich zum einen selbst auf der als Bühnenhintergrund gespannten Leinwand betrachtet, zum anderen die mit diesen Videos sicherlich veranschaulichten Selbstgespräche und Gedanken nicht sehr trennscharf von der übrigen Kommunikation bspw. mit der Mutter abgegrenzt werden (bspw. wenn sie eine E-Mail an ihre Mutter verfasst und dann plötzlich ohne einen erkennbaren Bruch (Stimme, Haltung etc. bleiben gleich) eine handfeste Auseinandersetzung mit ihrem Expartner hat) . Erschwerend kommt das Hantieren mit dem langen Kabel hinzu. Hätte man dies nicht ggf. durch den Einsatz von WLAN-Endgeräten umgehen können?

„Tell me on a Sunday“ in Lüneburg ist exzellent besetzt, aber der Inszenierung fehlt an vielen Stellen der rote Faden. Die Aussage dieser Bühnenfassung ist durchgehend negativ, was der Energie der Songs deutlich entgegensteht. Auch wenn das Stück schon fast 40 Jahre alt ist, ist seine Thematik – den Glauben an sich selbst niemals aufzugeben und sich nicht ausschließlich von anderen abhängig zu machen – immer noch aktuell und man hätte viele Schnittmengen und Berührungspunkte für die Zuschauer schaffen können. Diese Chance wurde leider komplett vertan. Schade.

Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: T.NT Studio, Lüneburg
Premiere: 27. Januar 2017
Darsteller: Dorothea Maria Müller
Musik / Regie:  Andrew Lloyd Webber / Friedrich von Mansberg
Fotos: Hans-Jürgen Wege