home 2008 Ein Klassiker ganz klassisch

Ein Klassiker ganz klassisch

Fahr mal wieder U-Bahn – Tu Dir mal was Gutes an! – So lautet ein Zitat aus dem Berliner Musical von 1986. Als Volker Ludwig und Birger Heymann ihr Hauptstadtmusical vor mehr als 20 Jahren im Berliner Grips-Theater zur Uraufführung brachten, haben Sie sich sicherlich nicht träumen lassen, eines der beliebtesten Repertoire-Stücke Deutschlands geschaffen zu haben. Noch mehr würden die beiden wahrscheinlich staunen, wenn sie die Inszenierung ihres Werkes im Kieler Theater sehen würde. Man betritt das Theater im Jahr 2008 und erlebt eine Vorstellung, die zu 100 % genauso auch schon vor 22 Jahren hätte aufgeführt werden können.

Nun muss das Festhalten an originären Produktionen nicht das schlechteste sein, in diesem Fall jedoch wirkt das Stück eindeutig altmodisch und angestaubt.

Weder Regie (Frank-Lorenz Engel), noch Bühne (Tobias Schunck) oder Kostüme (Claudia Kuhr) erheben den Anspruch, dem Stück etwas frischen Wind einzuhauchen.

Obwohl die Band unter der Leitung von Ture Rückwardt die mitreißenden Songs beschwingt und energisch aufspielt, springt der Funke nicht so recht über.

Das liegt aber vor allem an Hauptdarstellerin Jennifer Böhm, die mit ihrer linkischen und unbeholfenen darstellerischen Art weder Sympathiepunkte sammeln kann noch gesanglich oder tänzerisch auch nur im Ansatz überzeugt.

Ihre Kolleginnen und Kollegen haben da doch durchaus ein etwas anderes Niveau. Ellen Dorn überzeugt in jeder ihrer sieben Rollen, gleiches gilt für Agnes Richter (spielt fünf Rollen) und vor allem Lokal-Matadorin Almuth Schmidt, die mit ihrem warmen Spiel jeden in den Bann zieht. Für Lacher sorgen bekanntermaßen die vier Wilmersdorfer Witwen, in Kiel gespielt von Marko Gebbert, Siegfried Jacobs, Matthias Unruh und Zacharias Preen. Gesanglich und schauspielerisch voll überzeugend nehmen sich die vier Darsteller in dieser Szene selbst auf die Schippe – einfach herrlich!

Während David Allers vor allem beim Finale als der vom Mädchen (Jennifer Böhm) angehimmelte Rockstar Johnnie richtig punktet und zeigt, was in ihm steckt, gelingt die Marko Gebbert mit seiner Wandlungsfähigkeit in jeder Szene seiner acht Rollen.

Die oberhalb der Bühne platzierte Band macht Platz für eine Drehbühne mit U-Bahn-Wagon, die effektiv ausgenutzt wird. Man vermisst nicht und erliegt dem Charme dieser 80er Jahre Szenerie nur zu gern.

Auch heute noch kommen Mädchen vom Land in die große Stadt und sind von den schlichten Größe und den Menschenmengen zunächst überfordert. Auch heute noch fallen solche naiven Mädchen auf die plumpsten Anmachsprüche herein und geraten auf die schiefe Bahn, wenn sie nicht schnell Freunde finden, die auf sie aufpassen. Es wäre also ein leichtes gewesen, dass Stück moderner zu inszenieren und dem Publikum die Möglichkeit zu geben, sich mit diesem heute noch aktuellen Thema zu befassen. Stattdessen macht das Publikum eine Reise in die Vergangenheit und macht sich gar nicht erst die Mühe, sich ernster mit dem Stoff auseinanderzusetzen.

Dramaturg Jens Paulsen betont im Programmheft, dass man das Stück bewusst nicht ins Jetzt und Hier transferiert hat, weil es den speziellen Charme des Vor-Wende-Berlins verlieren würde. Wir denken jedoch, dass Musik und Buch eine Aktualisierung durchaus hergegeben hätten und wünschen uns für das nächste Mal, etwas mehr Mut zum Neuen.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Theater Kiel
Premiere: März 2008
Darsteller: Jennifer Böhm, Marko Gebbert, Agnes Richter, Almuth Schmidt
Regie / Musik: Franz-Lorenz Engels / Birger Heymann
Fotos: Theater Kiel