home 2006 Aurora und ihre Männer in Lübeck

Aurora und ihre Männer in Lübeck

In dieser Spielzeit stand die Premiere von John Kanders und Fred Ebbs beklemmendem Musical über die Phantasien des Häftlings Molina auf dem Programm des Lübecker Theaters. Schon in den zurückliegenden Jahren waren die Musiktheater-Inszenierungen des norddeutschen Hauses immer eine Reise wert – sei es nun „La Cage aux Folles“ oder „My Fair Lady“. Im Vergleich zu diesen beiden farbenfrohen Stücken, die mit bekannten Songs und einer im Grunde fröhlichen Handlung aufwarten konnten, ist das Gefängnismusical allein schon von der Umgebung her eher düster.

Anhand der Romanvorlage von Manuel Puigs wird die Geschichte des Sträflings Molina erzählt. Der homosexuelle Molina bekommt mit Valentin einen neuen Zellenkameraden in seinem südamerikanischen Gefängnis. Molina sitzt wegen Unzucht mit Minderjährigen ein und Valentin muss sich verantworten, weil er marxistischer Revolutionär ist. Zunächst mögen sich die beiden eher unsympathisch, aber mit der Zeit entwickelt sich eine Freundschaft und Molina verliebt sich in den raubeinigen Valentin.

Um sich den Gefängnisalltag zu erleichtern, flieht Molina in einer Traumwelt aus Hollywood-Filmen der 30er und 40ern. Vor allem die Diva Aurora stellt er sich in verschiedensten Gestalten vor, von denen die prägendste die Spinnenfrau ist. Valentin lässt sich von dieser Phantasiewelt anstecken.

Der gutgläubige Molina wird von den Gefängnisaufsehern mit einem Besuch bei seiner Mutter geködert, wenn er Valentins Verbündete verrät. Er täuscht Kooperation vor, verrät seinen Zellenkameraden jedoch nicht und wird wieder verhaftet. Vor den Augen Valentins wird Molina von der Gefängnisdirektorin erschossen. Valentin bricht schreiend zusammen.

Schon in den letzten Lübecker Musicals waren es die Kulissen, die dem Stück einen besonderen Touch gegeben haben. Das ist auch beim „Kuss der Spinnenfrau nicht anders. Die Gefängniszelle ist permanent vorn rechts auf der Bühne zu sehen. Nach hinten abgeschirmt durch eine variable Wand. Die Traumwelten von Molina entwickeln sich in einer raumschiffähnlichen, bühnenfüllenden Konstruktion, die mal zum Gefängnishof wird, mal zu einem schwarz-weißen Spinnennetz, mal zum Picknick-Platz oder zum Restaurant seines langjährigen Geliebten Gabriel. Eine beeindruckende Szene ist die verlockende Spinnenfrau im Zentrum eines überdimensionalen Auges, in dem die Spinnennetze durch ein schwarz-weißes Muster angedeutet sind. Großartig!

Dass das Geschehen immer unter Aufsicht der Gefängnisleitung vor sich geht, spürt auch das Publikum, denn die Gefängnisdirektorin sitzt die meiste Zeit in einer der Logen und wirft ihre Anweisungen sehr effektvoll vor dort auf die Bühne.

So beklemmend die Handlung als solche ist, so erfrischend die Ideen von Pascale Chevroton (Regie und Choreographie) wie sie Auroras Männer inszeniert. Die acht Tänzer lockern die ein oder andere Szene auf, ohne jedoch komplett in den Vordergrund zu treten. So bleibt der Eindruck einer Traumwelt erhalten. Auch der eingesetzte Herrenchor des Theaters Lübeck trägt dazu bei, dieses Stück in seiner Beklemmung zu stärken. Wenn sich die Großkulisse in der Mitte öffnet und zwischen unterer und oberer Hälfte singende Köpfe zum Vorschein kommen, läuft einem schon ein Schauer über den Rücken. Nach dem Tod Molinas, der in dem beeindrucken Finale integriert ist, bleibt es erst einmal still im Publikum. Das Gesehene braucht einige Sekunden um zu sacken. Doch dann bricht sich die Begeisterung bahn und die Darsteller bekommen den verdienten Beifall.

In der besuchten Vorstellung spielte Tilmann von Blomberg den träumenden Molina. Er war genauso überzeugend wie Thomas Christ als Valentin. Mit beiden litt man während ihrer Vergiftungen oder Misshandlungen durch das Gefängnispersonal mit. Mit beiden freute man sich, die Freundschaft aufkeimen zu sehen. Vasiliki Roussi als Aurora und Spinnenfrau gefiel durch ihre grazile Art. Ihre Stimme wollte jedoch nicht so recht passen. Andrea Jolly gibt eine einschüchterne Gefängnisdirektorin und lässt es nicht an Bösartigkeit und Kaltherzigkeit vermissen.

Somit ist auch die diesjährige Musicalproduktion des Lübecker Theaters gelungen und die Reise nach Lübeck lohnt sich auch in dieser Spielzeit.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Großes Theater, Lübeck
Besuchte Vorstellung: Dezember 2006
Darsteller: Tilmann von Blomberg, Thomas Christ, Vasiliki Roussi
Buch / Musik: John Kander / Fred Ebb
Fotos: Theater Lübeck