home 2010 Stimmungsvolle Stadttheater-Produktion

Stimmungsvolle Stadttheater-Produktion

Das Theater Lüneburg zeigt jedes Jahr aufs Neue, dass man für eine gelungene Musical-Inszenierung keine Millionen in die Hand zu nehmen braucht. Kreative und doch praktikable Sets, passende Kostüme, mal mutig-moderne, mal eher klassische Inszenierungen, ein gut aufeinander eingespieltes Orchester und musicalische Gäste, die das Hausensemble dort ergänzen, wo es Mankos gibt.

Diese Rezeptur zahlt sich seit Jahren aus und macht die Musicalsparte zum erfolgreichsten Teil des Hauses.

In dieser Spielzeit steht die tragische Geschichte von Aida und Radames in der Fassung von Elton John und Tim Rice auf dem Premierenplan. Iris Gerath-Prein orientiert sich in ihrer Inszenierung an klassischen Motiven. Die Szenenbilder sind pragmatisch und schaffen dennoch die passenden Hintergründe für die verschiedenen Lebenswelten von Aida, Radames und Amneris.

Die Kostüme (Sabine Meinhardt) sind eine Mischung aus modernen (Radames, Amneris) und schlichten, klassischen (Aida, Pharao) Stilen und fügen sich sehr gut ins das Gesamtbild ein. Die rote Farbwelt der Nubier bildet einen eingängigen Kontrast zu den schwarzen Uniformen der Soldaten von Radames. Da fällt es dann auch nicht ins Gewicht, dass Aida und ihre Nubier von weißen – anstatt üblicherweise dunkelhäutigen – Darstellern gespielt. Lediglich Zoser (gewandet in eine Art weißen Tai Chi Anzug mit langem weißen Zopf) und Amneris‘ wechselnde Roben brechen mit diesem Bild.

Barbara Bloch hat vor allem mit den Kulissen für die Museumsszene ganze Arbeit geleistet und schafft spielend den Wechsel vom modernen Museum zum ägyptischen Tempel.

Daniela Gruber gehört zum Hausensemble und gibt eine sehr starke Aida. Stimmlich passt ihr die Rolle sehr gut, nur schauspielerisch ist sie häufig zu steif und gestattet es dem Publikum nicht, an den intensiven Gefühlen teilzuhaben, die Aida fast zerreißen. Matthias Stockinger ist der Musical-Gast dieser Inszenierung: Als Radames harmoniert er sehr gut mit Daniela Gruber, kann aber auch die Gewissensbisse transportieren, denen er als ägyptischer Heerführer ausgesetzt ist als er sich in die nubische Sklavin verliebt.

Als Amneris komplettiert Ursula Baumgartner die drei Protagonisten dieses Stücks. Die Verzweiflung darüber, dass sich der Mann ihrer Träume in eine andere verliebt hat, verkörpert sie sehr gut. Die Zickigkeit und Arroganz der ägyptischen Thronfolgerin könnte gern noch mehr betont werden, um die Wandlung zur wohlwollenden Königin am Ende des Stücks zu unterstreichen.

Besonders schön ist die Auftaktszene des 2. Akts gelungen, in dem alle drei Hauptfiguren, in ihrer Umgebung stehend, mit ihren Gefühlen kämpfen und nicht wissen, wie sie die für sie unerträgliche Situation klären sollen. Hier spielen alle Gewerke des Musiktheaters perfekt zusammen.

Der Personenregie scheint es geschuldet, dass jedoch alle Charaktere eher schwach ausgeprägt sind und die Konflikte nur angerissen werden. Zudem entfaltet sich die Handlung in einem so schnellen Tempo, dass sämtliche Nebenfiguren (Mereb, Zoser) unwichtig erscheinen. Während MacKenzie Gallinger als Mereb das Beste aus seiner zugegebenermaßen sehr dankbaren Rolle herausholt, scheint Friedrich von Mansberg mit der Figur des intriganten Vaters von Radames nicht nur stimmlich ein wenig überfordert und wirkt – sicherlich auch aufgrund des unpassenden Kostüms und der kaum vorhandenen Personenregie – manchmal deplatziert.

In Sachen Choreographie verliert die Lüneburger „Aida“ sehr stark gegenüber dem Broadway-Vorbild. Francisco Sanchez Martinez vergibt Chancen, Szenen wie „Wie Vater, so Sohn“ durch eine eindringliche Performance zu intensivieren. Nur unter den Sklavinnen werden Tanzfolgen angedeutet, was aber im Verhältnis zur gesamten Show zu wenig ist.

Das Orchester unter der Leitung von Nezih Seckin spielte am Premierenabend energiegeladen auf und ließ es an nichts vermissen: Die Balladen kamen gefühlvoll dosiert beim Publikum an, während die schwungvollen Uptempo-Nummern mitreißend intoniert wurden.

„Aida“ ist der Beweis dafür, dass experimentelles Musiktheater wie „Chess“ im letzten Jahr nicht notwendig ist, sondern dass in sich stimmige Inszenierungen, die sich gern auch an klassischen Motiven orientieren dürfen, einwandfrei funktionieren. Mehr als das: Sie können begeistern – wofür auch der nicht enden wollende Premierenapplaus ein Beweis ist.

Michaela Flint

Theater: Theater Lüneburg
Premiere: 20. November 2010
Darsteller: Ursula Baumgartner, Daniela Gruber, Matthias Stockinger
Musik / Regie: Elton John / Tim Rice
Fotos: Theater Lüneburg