home 2011 Never change a running system – Rocky Horror Show ohne Ecken und Kanten

Never change a running system – Rocky Horror Show ohne Ecken und Kanten

Seit fast 40 Jahren, genauer gesagt seit 16. Juni 1973, ist Richard O‘Briens frivol-schaurige Geschichte von Frank‘N‘Furter auf den Bühnen dieser Welt Zuhause. Auch die Deutschland-Tourneen des Kult-Musicals sind immer ausverkauft und so weckte die Ankündigung von BB Promotion eine neue „Rocky Horror Show“ auf Reisen zu schicken, große Vorfreude.

Dass es sich um eine Wiederauflage der Neuinszenierung von 2008/09 handelte, war eine Randnotiz, die nicht weiter ins Gewicht fiel. Doch während und nach der Show sah man doch viele fragende Gesichter. Fehlte doch der schlüpfrige Gesamtkontext fast völlig; das Publikum wurde vom Erzähler nicht „abgeholt“ und Spaß am Time Warp hatten fast nur die Bühnenkünstler.

Natürlich fällt auch das schwer zu begeisternde Hamburger Publikum bei der Nachbetrachtung mit ins Gewicht. Und doch: In allen zuvor von mir besuchten Hansestadt-Inszenierungen dieses musicalischen Horror-Klassikers feierte das Publikum sich selbst und verwandelte das Theater mit Konfetti, Toilettenpapier, Zeitungshüten, Spielkarten, Gummihandschuhen und nicht zuletzt Wasserpistolen in eine einzige große Time Warp Party. Leider sucht man diese Begeisterung im Schauspielhaus vergeblich…

Dabei fängt alles sehr schön an: Auf einer Leinwand werden Ausschnitte aus Schwarz-Weiß-Horrorstreifen gezeigt. Während Magentas Eröffnungssolo wird auf der Weltkugel zum Spielort der ersten Szene (vor einer Kirche) gereist. Diese Szenerie wird für den Epilog wieder aufgenommen und rundet die Show sehr gut ab. Überhaupt funktioniert das Bühnenbild David Farley sehr gut: Die Szenenbilder sind zurückhaltend ausgestattet und einzelne optische Highlights machen sie spannend. So kann der Fokus auf den Akteuren liegen, was bei dieser Show wichtiger ist als sonstwo.

Die bekannte Geschichte von Frank‘N‘Furter und seinen durchaus als skurril zu bezeichnenden Dienstboten Riff Raff, Magenta und Columbia, den Besuchern Brad und Janet, Rocky, Eddie und Dr. Scott wird auf dieser Tour von Sky Dumont erzählt. Leider erfüllt er seine Aufgabe sehr gelangweilt und oberlehrerhaft. Er geht nicht auf das Publikum ein und erntet neben den augenzwinkernden Standard-Sprüchen wie „langweilig“, „schneller“ tatsächlich ernst gemeinte Pfiffe und Buhrufe. Doch anstatt aktiv spielerisch mit dieser Resonanz umzugehen, übergeht er das Publikum weitestgehend auf arrogante und nicht rollen-adäquate Weise. Dumont scheinen die Fußstapfen von Hans B. Goetzfried, der die Rolle des Erzählers jahrelang hervorragend übernommen hat, leider mehrere Nummern zu groß.

Ähnlich enttäuschend kommt Jon Hawkins als Brad über die Rampe. Er spielt das zugegebenermaßen schüchterne Muttisöhnchen Brad so blass und leise, dass man ihn mehrfach kaum versteht. Auch mit seinem Solo „Once in a while“ kann er diesem Boygroup-Image leider nichts entgegensetzen.

Überraschend hingegen gelingt Matthew McKennas Interpretation von Riff Raff: Schaurig, geheimnisvoll, unerwartet attraktiv und mit einer überzeugenden Bühnenpräsenz spielt er den scheinheiligen Diener. Optisch erinnert er an Gary Oldman in „Bram Stoker‘s Dracula“, was der Figur durchaus gut steht. Stimmlich kann McKenna voll überzeugen.

Daisy Wood-Davis steht ihm da in nichts nach, auch wenn sie als brave Janet noch nicht aus dem Vollen schöpft. Als Janets Kleidung fällt und sie dank Frank‘n‘Furter von der sprichwörtlichen verbotenen Frucht genascht hat, kommt eine fast verruchte, unersättliche junge Frau zum Vorschein, deren klangvolle Stimme sich vor allem bei „Toucha-Toucha-Touch Me“ Bahn bricht und viel Freude bereitet.

Die Hauptrolle auf dieser Tournee spielt Rob Fowler, der den Frank‘n‘Furter nach 2008 bereits zum zweiten Mal gibt. Der Engländer lässt es an nichts vermissen. Optisch ist er ideal, auch wenn seine wasserstoffblonden Haare etwas gewöhnungsbedürftig sind. Stimmlich steckt er seine Kollegen spielend in die Tasche. Man ist geneigt zu sagen, dass er für diese Rolle fast schon zu gut singt; hat er doch eine ausgeprägte Rockstimme,die immer mal wieder deutlich zu hören ist. Doch auch die leisen Töne meistert er gefühlvoll.Dass die Figur in dieser Inszenierung weniger frivol und exzentrisch angelegt ist, ist bedauerlich. Doch Fowler gibt sein Bestes, über dieses Manko hinweg zu spielen.

Generell entfaltet sich diese „Rocky Horror Show“ mit gebremstem Schaum. Irgendwie will der Funke nicht überspringen. Columbia (Kerry Winter) ist lange nicht so quietschig und nervtötend wie man es gewöhnt ist. Magenta (Djalenga Scott) singt ihr Solo wunderbar, spielt aber so unterkühlt und gleichgültig, dass sie danach kaum noch auffällt. Eddie und Dr. Scott (Sean Kingsley) sind vom Publikum weder durch „Shhh“ noch „Uh!“ kommentierte Randfiguren – obwohl der fiese deutsche Akzent von Dr. Scott extrem lustig ist und beide Figuren über eine entsprechende Bühnenpräsenz verfügen. Es ist traurig, mit ansehen zu müssen, dass die Darsteller auf diese Zwischenrufe förmlich warten und so gut wie nichts von den Zuschauern zu hören ist.

Sam Cassidy spielt einen sehr muskulösen Rocky (ein wirklich perfekt definierter Körper), bei dem die Maskenbilder das Sixpack kaum mit Farbe verstärken müssen. Doch sein kindliches, blondgelocktes Gesicht, das er durch ein extrem dümmliches Grinsen noch betont, will zu diesem Körper nicht recht passen. Liest man dann in seiner Biografie, dass Cassidy bisher u. a. Benjamin und Joseph in „Joseph“ oder als Prince Charming in „Cincerella“ auf der Bühne stand, scheint dies sofort deutlich geeigneter für den Londoner.

Die herausragendste Szene dieser Inszenierung ist Frank‘N‘Furters Auftritt bei der Floor Show: eine Blondine auf King Kongs Hand, Razzle Dazzle Federfächer und ein Rob Fowler der die ganze emotionale Bandbreite abfeuert – schlichtweg großartig.

Es bleibt ein trauriger und fader Beigeschmack: In dieser Produktion wurden der „Rocky Horror Show“ nahezu alle Ecken und Kanten abgeschliffen. Die Show hat mehr von braven Mainstream und verliert so ihren Kultcharakter. Ein komplett NICHT tanzender Theaterrang ist bei einer normalen „Rocky Horror Show“ ein Ding der Unmöglichkeit. Und doch habe ich dies gleich zweimal erleben müssen. Bad, bizarre and bloody brilliant ist irgendwie anders…

Michaela Flint

Theater: Schauspielhaus, Hamburg
Premiere: 27. Juli 2011
Darsteller: Rob Fowler, Matthew McKenna, Daisy Wood-Davis, Jon Hawkins, Sky Dumont
Regie / Buch:  Sam Buntrock / Richard O‘Brien
Fotos: Thommy Mardo