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Endlich tanzen sie wieder!

Fast auf den Tag genau 10 Jahre ist es her, dass der letzte Jellicle Ball im Hamburger Operettenhaus stattfand. Doch seit 6. Januar 2011 sind alle Katzen wieder in der Hansestadt: Munkustrap und Rum Tum Tugger, Grizabella und Gus, Skimbleshanks und Jenny Fleckenreich, Mr. Mistoffelees und natürlich Alt Deuteronimus. 27 Katzen haben – wenn auch nur für einige Wochen – Asyl im imposanten Theaterzeit im Herzen Hamburgs gefunden.
Nicht nur für mich war „Cats“ das erste Musical, das ich – vor mehr als 20 Jahren! – gesehen habe. Andrew Lloyd Webbers Klassiker war jahrzehntelang die Galionsfigur der Branche; das Stück, an dem sich alle anderen messen lassen mussten – sei es nun in Sachen Anspruch für die Künstler (Gesang, Tanz und Schauspiel sind hier wie in kaum einem anderen Musical gefordert) oder auch Spieldauer. „Cats“ gehört neben dem „Phantom der Oper“, „Starlight Express“ und „Les Misérables“ auch heute noch zu den bekanntesten, am längsten gespielten Musicals weltweit.
Und doch mussten die Produzenten Maik Klokow und Michael Brenner vermutlich reichlich Zweifler überzeugen als sie diesen vermeintlich angestaubten Klassiker erneut durch Deutschland schicken wollten. Eines kann man jedoch schon am Tag der Tour-Premiere in Hamburg festhalten: Ihre Beharrlichkeit hat sich gelohnt. Die Ticketverkäufe sind sehr gut, die Spielzeit in Hamburg wurde bereits vorzeitig um zwei Wochen verlängert und die Show begeistert auch nach 20 Jahren!
Der Bühnenbau im 1800 Plätze fassenden Theaterzelt (trotz Minusgraden sehr angenehm warm) erinnert an die Weltpremierenbühne in New London Theatre: Der Zuschauer sitzt fast komplett rundherum um die Bühne und kann das Geschehen aus (fast) jedem Winkel verfolgen. Die liebevoll arrangierten Schrottplatzelemente zeigen ebenfalls englische Wurzeln, findet man dort doch Packungen von Cookies und Waschmitteln, die es nur auf der Insel hinter dem Ärmelkanal gibt. Auch die Kostüme entsprechen weitgehend der englischen Originalproduktion, was man vor allem an Rum Tum Tugger und Mr. Mistoffelees sieht, deren Fell in der Hamburger Ursprungsfassung noch an einigen Stellen anders gefleckt war.
Optisch war demnach alles beim Alten und man musste nicht mit Überraschungen rechnen. Und genau dafür möchte man dem Kreativteam danken: Keine krampfhafte Modernisierung, zwanghafte Entstaubung oder zusätzliche Special Effects, die ein modernes Publikum in Staunen versetzen – nein, pure klassische Musical-Kunst ist es, die Chrissie Cartwright und Japheth Myers in ihrer Inszenierung zur Aufführung bringen.

So spult sich die bekannte Geschichte der Katzen ab, die um die Gunst von Alt Deuteronimus buhlen, der am Ende entscheidet, welche von ihnen wieder geboren wird.
Die Casting-Verantwortlichen habe großartige Arbeit geleistet: Jack Rebaldi gibt einen starken Munkustrap. Seine beeindruckende  Bühnenpräsenz und volle Stimme erzeugen nicht nur in der Katzenschar Bewunderung für diesen Katzenanführer.
Grizabella ist sicherlich eine der dankbarsten Rollen im Musiktheater und Masha Karell füllt die Rolle der alten Glamour-Katze sehr gut aus. Sie singt sich zwar nicht in die höchsten Höhen, doch gefällt ihre Interpretation von „Mondlicht“.
Vielleicht ist ihre Mimik an einigen Stellen etwas zu menschlich und zu wenig katzenhaft, aber wirklich ins Gewicht fällt das kaum.
Dominik Hees schlüpft in die Rolle des Katzen-Chauvis Rum Tum Tugger und wickelt jedes Kätzchen spielend um den Finger (oder besser: um den Schwanz). Obwohl er den vorlauten und selbstbewussten Kater sehr gut über die Rampe bringt, ist sowohl stimmlich als auch schauspielerisch noch Potential vorhanden, denn einiges wirkte noch zu aufgesetzt. Man wünscht sich etwas mehr Rock und Frivolität – beides zeichnet Rum Tum Tugger aus.
Für die Gumbie-Katze, Jenny Fleckenreich, wurde mit Ann Christin Elverum ebenfalls eine Künstlerin mit jahrelanger Musicalerfahrung engagiert. Ihre Spielfreude und die wunderbare Stimme geben der steppenden Katze noch mehr Schwung als sie ohnehin schon hat.
Den wichtigsten Kater spielt Martin Berger: Man vermag sich kaum vorzustellen wie sehr er unter dem riesigen Fellumhang von Alt Deuteronimus schwitzt und doch strahlt er Würde und Weisheit aus und überzeugt vollends.
Als Theaterkater Gus darf Frank Logemann aus dem Vollen schöpfen und zwischen tatterndem Katzengreis und jugendlichem Katzenliebhaber (Growltiger) wechseln. Zudem „rollt“ er auch als Bustopher Jones über die Bühne. Der Vielseitigkeit dieser Rollen wird er sowohl stimmlich als auch schauspielerisch mehr als gerecht. Warum aus der Operetteneinlage eine Whiskylastige Pub-Hymne wurde, erschließt sich nicht wirklich, aber dieses Stück im Stück war schon immer etwas schwierig und hat den Handlungsfluss eher gestoppt als gefördert.Die Gute-Laune-Katze ist seit jeher Skimbleshanks. Der Eisenbahnkater
wird von Paul Knights mitreißend gespielt, getanzt und gesungen. Die  Szene, in der die Katzen aus Schrottteilen eine Dampflok bauen, zaubert
auch heute noch den Allermeisten ein Lächeln aufs Gesicht.
Mr. Mistoffelees gehört ebenfalls zu den Publikumslieblingen. Mark John Richardson ist sich dieser Tatsache bewusst und bezieht das Publikum in
sein Spiel ein. Seine Pirouetten lösen bei den Zuschauern wahre Jubelstürme aus.
Tänzerisch spielt sich auch Jason Winter in den Vordergrund. Während er als Plato noch eine Katze von vielen ist, sticht er als böser Macavity nicht
nur wegen seiner kraftvollen und dennoch feingliedrigen Bewegungen hervor, sondern auch durch seine intensive Mimik.
Überhaupt wurden – so scheint es – starke Persönlichkeiten gecastet, die „ihren“ Katzen ein sehr individuelles Auftreten verleihen. Schaut man in die grandios geschminkten Gesichter verschwinden die Künstler nicht gänzlich hinter Maske und Make-Up, sondern haben noch genug Spielraum, sie selbst zu sein. So bleiben auch Mungojerrie und Rumpleteazer (Tommie Luyben und Marleen de Vries) nicht nur durch die amüsante Geschichte und die eigenwillige Choreographie im Kopf, sondern auch durch ihre ausdrucksstarken Gesichter.Wenn man an dieser neu aufgelegten Tournee-Fassung überhaupt etwas kritisieren will, sind es die – im Nachgang an das Ende der Ensuite-Produktion – „optimierten“ Texte, die mehr holprig als flüssig über die Lippen kommen. Alt Deuteronimus klingt eher nach einer schweren Krankheit als nach dem ehrwürdigen Chef der Jellicle Cats – warum also nicht auch hier beim Original bleiben: Old Deuteronomy?
Die Authentizität der Tourproduktion spiegelt sich leider aber auch darin wieder, dass man nicht alle Darsteller einwandfrei versteht. Hier muss die Phonetikabteilung dringend nacharbeiten, aber auch der Sound-Designer sollte an dieser Stelle noch nachbessern, denn allzu oft scheint das akustische Verhältnis zwischen Gesang und Instrumenten zugunsten des Orchesters unausgewogen.
Schon im Operettenhaus war eine spannende Frage, wo das Orchester platziert wurde. Dieses Rätsel ist im Zelt umso größer, da von einem richtigen Backstage-Bereich nichts zu sehen ist und unter der Bühne ganz sicher kein Platz ist, da diese nur 50 cm über dem Kopfsteinpflaster des Heiligengeistfeldes gebaut ist. Die Antwort ist sehr unromantisch: Das Orchester wurde um fast 50 % dezimiert und die verbliebenen zehn Musiker spielen in Containern hinter dem Bühnenzelt.
Auch diesen für eine Tour notwendigen Verschlankungen ist es zuzuschreiben, dass vorn beim Publikum mehrfach das Schlagzeug viel zu laut ankommt und in anderen Szenen die Streicher fast gar nicht zu hören sind. Aber das ist dank moderner Tontechnik kein unlösbares Problem.
„Cats“ wieder in Hamburg auf die Bühne zu bringen – war das wirklich eine gute Idee? Ja! Das Musical ist rund, jede Szene funktioniert, es ist echtes Musical als Kunsthandwerk, es begeistert und hinterlässt 1800 glücklich strahlende Zuschauer! Kann es eine bessere Begründung geben?

Michaela Flint

Theater: Zelt auf dem Heiligengeistfeld, Hamburg
Premiere: 6. Januar 2011
Darsteller: Martin Berger, Dominik Hees, Eric Lee Johnson, Paul Knights, Masha Karell, Frank Logemann, Jack Rebaldi
Musik: Andrew Lloyd Webber
Fotos: Nilz Böhme / Mardo