home 2013 Auch Stadttheater können Broadway-Feeling vermitteln

Auch Stadttheater können Broadway-Feeling vermitteln

„Frühling für Hitler“ – das wohl schlechteste Musical aller Zeiten sollte Max Bialystock und Leo Bloom auf zugegebenermaßen leicht illegalem Weg zu Reichtum verhelfen. Doch die skurrile Show über einen tanzenden Hitler, hüftschwingende SS-Soldaten, mit klischeetriefenden Texten und banalsten Choreographien wird zum Erfolg! Kritiker und Publikum lieben die Show gleichermaßen, Max Bialystock wird eingebuchtet und Leo Bloom flüchtet mit seiner Ulla nach Rio.

Dass eine solch ungewöhnliche Idee zu einer Bühnenshow nur einem ausgemachten Querdenker wie Mel Brooks entstammen kann, ist klar. Und doch hätte ihn mit der Adaption seines Films dasselbe Schicksal ereilen können wie Max Bialystock vor „Frühling für Hitler“. Doch sechs erfolgreiche Jahre am Broadway, vier Jahre im West End und unzählige Auszeichnungen machten „The Producers“ zu einem der erfolgreichsten Stücke der letzten Jahre.

Die kurzen Spielzeiten in Wien und Berlin (2008 und 2009) reichten bei weitem nicht an den Erfolg der internationalen Vorgänger-Produktionen heran.

Nun hat sich also das Mecklenburgische Staatstheater in Schwerin die Aufführungsrechte sichern können. Sicherlich nicht das einfachste Pflaster für ein Stück, in dem vermeintlich die deutsche Geschichte verhohnepipelt wird. Und doch kann man den Entscheidern und Kreativen nur zur ihrer mehr als gelungenen Inszenierung gratulieren. „The Producers“ in Schwerin lässt es an nichts vermissen und braucht sich hinter den großen Produktionen in Wien und London nicht verstecken. Ein Hauch von Broadway im Nord-Osten unserer Republik – wie das geht, kann man sich jetzt in Schwerin anschauen!

Optisch schöpft die Inszenierung von Peter Dehler (Regie) aus dem Vollen, Ulv Jakobsen schafft mit seinen Kulissen zu jeder Szene den richtigen Rahmen, spart nicht mit Klischees (mein Favorit: die rosa Plüschtreppe in Roger DeBris Appartement) und die Kostüme von Susanne Richter unterstützen diesen rundum gelungenen Eindruck. Sogar der Chor trat in eigens entworfenen Kleidern auf. Hier wurde offenbar nicht am falschen Ende gespart, wie es leider recht oft in vielen Stadttheatern der Fall ist.

Die Hauptdarsteller spielen also vor eindrucksvollen Kulissen und werden von einem nicht minder beindruckenden Orchester begleitet. Unter der Leitung von Martin Schelhaas gelangen die schmissigen, typisch amerikanischen Broadwayklänge aus der Feder von Mel Brooks direkt ins Ohr. Das Publikum wippt mit den Füßen und klatscht begeistert mit, wenn das mehr als 30-köpfige Orchester loslegt.

Dirk Audehm gibt einen sehr charismatischen Max Bialystock. Er überzeugt durch komödiantisches Talent, zeigt Stärken in Gesang und Tanz und lässt seinen Kollegen ausreichend Raum zur Entfaltung. Als Leopold Bloom steht Christoph Bornmüller seinen Mann. Er ist gleichermaßen bedauernswert als auch idealistisch, seine Tolpatschigkeit ist herzerwärmend und seine Anbandelei mit Ulla schreiend komisch. Als schwedisches Multitalent Ulla steht Sonja Isemer auf der Bühne. Sie überzieht den Charakter der dummen, schwedischen Blondine perfekt und fügt durch ein sehr ausgeprägtes Minenspiel noch das gewisse Etwas hinzu.

Andreas Lembcke fällt die Rolle des exzentrischen, in der Vergangenheit verhafteten Autoren Franz Liebkind zu. Dieser Charakter ist sicherlich einer der schwierigsten in „The Producers“, muss doch eine Gratwanderung zwischen der Propagierung nationalsozialistischen Gedankenguts und psychischer Entrücktheit gelingen. In Schwerin wurde diese Rolle leider etwas zu sehr ins Lächerliche gezogen. Lembckes Grimassen schießen deutlich über das Ziel hinaus und so kann man die Figur nicht einordnen, Liebkind als „Alpin Rambo“ weder Ernst nehmen noch über ihn lachen. Dennoch ist „Grüß di Gott, pitsch patsch“ eine der lustigsten Szenen des Abends, was nicht zuletzt auch an der perfekt umgesetzten Choreographie (Rüdiger Daas) liegt.

Roger DeBris „Lebensabschnittsassistentin“ Carmen Ghia wird von Klaus Bieligk wunderbar einfühlsam gespielt. Er bedient die Klischees der so genannten „weiblichen Seite“, ist mal extrem beleidigt, mal der Retter in der Not. Özgür Platte ist als zickiger, überkandidelter Regisseur und notgedrungener Titelheld von „Frühling für Hitler“ sehr überzeugend. Sein Roger DeBris gewinnt viele Sympathien, nicht zuletzt auch wegen seines einzigartigen Teams, das in „Mach es warm“ die volle Ladung Klischees und Vorurteile über Homosexuelle jeglicher Couleur über dem Publikum ausschüttet.

„The Producers“ lebt vom schönen Schein des Broadway. Dies muss sich natürlich auch in den Choreographien widerspiegeln. Ähnlich wie Peter Dehler in der Personenregie hat sich Rüdiger Daas in den Choreographien weitestgehend an der Originalinszenierung orientiert. So bekommt das Publikum 14 mit ihren Gehhilfen steppende Großmütterchen zu sehen, erfreut sich an Beine schwingenden Wehrmachtssoldatinnen in Hotpants und schüttet sich vor Lachen aus als die Bier-, Brezel- und Weißwurst-Tänzerinnen die Showtreppe hinunter balancieren. Ein Highlight bildet sicherlich das getanzte Hakenkreuz, das den Zuschauern durch einen gekippten Spiegel auch bis in die letzte Reihe deutlich gezeigt wird.

Ja, es ist befremdlich über diese abstruse Show so herzhaft zu lachen wie sie es verdient. Aber wenn man sich vor Augen führt, dass es letztlich um zwei jüdische Produzenten geht, die um jeden Preis einen Misserfolg am Broadway erzielen wollen und dafür ausgerechnet eine Hitler-Persiflage wählen, bekommt man eine andere Sichtweise. Dann fällt es auch nicht mehr schwer über Franz Liebkinds weiße Friedenstaube namens Adolf zu lachen, die unter ihrem rechten Flüge eine Mini-Hakenkreuzfahne versteckt hat.

Es wurde Zeit, dass „The Producers“ wieder auf einer deutschen Bühne gezeigt wird. Mit viel Liebe zum Detail, prächtig ausgestatteten Szenen und Darstellern, die ihr Handwerkszeug gekonnt einsetzen, beweist das Mecklenburgische Staatstheater, dass „Think Big“ nicht nur den Produzenten von Ensuite-Musicals vorbehalten sein muss.

Michaela Flint

Theater: Mecklenburgisches Staatstheater, Schwerin
Premiere: 25. Oktober 2013
Darsteller: Dirk Audehm, Christoph Bornmüller, Sonja Isemer, Andreas Lembcke, Klaus Bieligk, Özgür Platte
Musik / Regie:  Mel Brooks / Peter Dehler
Fotos: Silke Winkler