home 2013 Herrlich politisch unkorrekt und bitterböse

Herrlich politisch unkorrekt und bitterböse

Manche Dinge müssen reifen, um wirklich gut zu werden. „Villa Sonnenschein“ gehört nicht dazu. Schon in der Premiere vor mehr als sieben Jahren schluckte man als Zuschauer mehr als einmal kalt, wenn Mechthild ihre Heimbewohner auf skrupelloseste Art und Weise um die Ecke bringen will und Dr. Mathieu seine „Verführungskünste“ schamlos an Melanie ausprobiert.

Schnappatmung und Fremdschämen sind auch bei der diesjährigen Wiederaufnahme an der Tagesordnung. Wird doch Mechthild als „die Hitlerin“ bezeichnet und Gustavs Vorliebe für Pornografie mit deutlichen Worten beschrieben.

Die Mischung aus alten „Villa Sonnenschein“-Hasen und neuen Puppenspielern bringt frischen Wind ins Schmidt Theater. Zu keinem Zeitpunkt wird es langatmig und man möchte unbedingt wissen, welche Bosheiten sich die Heimleiterin und der egoistische Doktor noch so ausdenken, um ihren perfiden Plan in die Tat umzusetzen.

Die Puppen sind und bleiben die nicht zu verheimlichenden Stars der Show – und damit sind nicht nur die Heimmitarbeiter gemeint, sondern auch Wanddekorationen wie Sonne, Wildschein oder Lampe – nicht zu vergessen das Kissen, die Bettpfanne und Topfpflanze Julio. Dass Julio nicht irgendein Grünzeug ist, sondern als Ableger vom Ableger des Ablegers vom Ableger der Pflanze aus Casanovas Schlafzimmer ein Füllhorn an Liebesweisheiten parat hat, nützt nicht nur Bufdi Felix. Auch die Zuschauer kommen voll auf ihre Kosten, wenn Heiko Wohlgemuth sich den Blumentopf vor den Bauch schnallt und zu Samba-Rhythmen hüftkreisend über die Bühne fegt.

Auch über die Nachspeise, die Dr. Mathieu und Melanie bei Maître Juneau zu sich nehmen, sollte man getrost ein Weilchen nachdenken, denn die deutsche Übersetzung der französischen Speisenfolge trifft deren Inhalt nicht so ganz…

Zwei neue Gesichter hinter den Puppen sind Katrin Taylor und Marco Knorz. Beide spielen das auf Umwegen zueinander findende Traumpaar Melanie und Felix überaus charismatisch und setzen in ihren Soli und Duetten gesangliche Höhepunkte.

„Villa Sonnenschein“ ist ein großer Spaß – vermutlich mehr für Jung als für Alt, denn die Aussicht auf eine nahende Zukunft in einem ähnlichen Etablissement stimmt sicherlich nicht optimistisch.

Der Eindruck, dass die wenigen textlichen Anpassungen noch gemeiner, noch rücksichtsloser sind, täuscht sicherlich nicht. Der Wunsch, dass sich diese Tradition auch 2014 fortsetzt, ist groß und bleibt sicherlich nicht unerfüllt.

Michaela Flint

Theater: Schmidt Theater, Hamburg
Besuchte Vorstellung: 22. Januar 2013
Darsteller: Marco Knorz, Regina Lemnitz, Carolin Spieß, Katrin Taylor, Heiko Wohlgemuth
Regie / Musik: Corny Littmann / Martin Lingnau
Fotos: Oliver Fantitsch