home 2015 Schwungvolle Inszenierung des Charles Dickens Klassikers

Schwungvolle Inszenierung des Charles Dickens Klassikers

Über diese Produktion kann man viel Schönes berichten, doch auch der erste Eindruck zählt. Und dazu gehören an diesem Nachmittag lediglich gut 300 Gäste die sich ihren Platz im weiten Rund des 1.500 Plätze Theaterzelts aussuchen können. Schade, dass man seitens des Veranstalters hier nicht kurzfristig die Ränge geschlossen hat. Darüber hätten sich viele Besucher sicherlich sehr gefreut. Zudem wäre es für die Darsteller sicherlich ein schöneres Gefühl gewesen, in strahlende Augen zu schauen als vor den zahlreichen leeren Sitzreihen an der Bühne zu spielen.

Außerdem fühlt es sich für niemanden angenehm an, im Abfall der vorangegangenen Show zu sitzen. Hier wäre etwas mehr Auge fürs Detail beim Veranstalter wünschenswert gewesen. Ansonsten gibt es hierzu ja auch keinen Grund zur Klage, denn im (zugegebenermaßen völlig überhitzten) Foyer gibt es verschiedene englisch thematisierte Sitzecken und verschiedenste Bars, die zum Verweilen einladen.

Die Geschichte von Ebenezer Scrooge, dem grantigen Geizhals, der von den Geistern der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft heimgesucht wird, dürfte auch hierzulande inzwischen durchaus bekannt sein. Marley, Scrooge’s ehemaliger Geschäftspartner, ist als Geist in der Zwischenwelt gefangen und hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem alten Freund die Verbitterung auszutreiben und ihm zu zeigen, wie schön sein Leben sein könnte, wenn er sein Verhalten nur ein wenig ändern würde. Begleitet werden die beiden auf ihrer Reise vom Weihnachtsengel, der sich am Ende als Scrooge’s große Liebe Belle entpuppt, die seit ihrem Tod über das Leben ihres Ebenezers gewacht hat.

Natürlich gibt es ein Happy End! Auch wenn Scrooge seine Belle für immer verloren hat, gewinnt er doch neue Freunde – allen voran die Familie seines Mitarbeiters Cratchit – und wird fortan kein Weihnachtsfest mehr allein verbringen müssen.

Dieses Musical feierte am gleichen Ort bereits vor 14 Jahren Premiere und ist keinesfalls eine Kopie des Alan Menken Stücks.  Dirk Michael Steffan (Musik) und Michael Tasche (Buch) haben ein sehr rundes, in sich stimmiges Stück kreiert, das kurzweilig und unterhaltsam ist. Wie bei einem Weihnachtsmusical nicht anders zu erwarten, sind einige Songs und Dialoge speziell auf die junge Zielgruppe abgestimmt. Dazu gehört auch, dass Marley die Zuschauer ins Spiel mit einbezieht. Der freche, unbeirrbare Geist ist der große Sympathieträger der Geschichte und Ron Holzschuh weiß diesen Trumpf gekonnt auszuspielen.

Sein Bewährungsprojekt ist Scrooge, der dank Felix Martin ungeahnte Facetten an den Tag legt. Er ist nicht nur grantig, geizig und ewig schlecht gelaunt. Martin gelingt es eindrucksvoll, den Bogen von der Verbitterung zum Bedauern, vom Geiz zum Geben, zu spannen. Dabei legt er nicht nur viel Gefühl in sein Spiel, sondern transportiert auch mit seinen Soli sehr viele Emotionen.

Weniger authentisch hingegen ist Annemarie Eilfeld als Engel. Sie wirkt eher steif und kann die tiefe Liebe, die es zwischen Belle und Scrooge einmal gab, nicht zum Ausdruck bringen. Auch gesanglich kann die DSDS-Halbfinalistin nicht überzeugen.

Die Charaktere sind insgesamt sehr glaubhaft entwickelt und für Kinder gut zu verstehen. Dazu zählt auch die spendable Vorzeigefamilie Fezziwig. „Nur eine Kleinigkeit“, wo die Familie alle Freunde und Bekannte zu einem opulenten Weihnachtsmahl einlädt, gehört zu den lustigen Nummern der Show.

Einige gute Ensemblesongs wie die Geister mit ihrem „Oops, das tut uns leid“ oder auch „In Ketten geschmiedet“ wurden leider ein Opfer der miserablen Tontechnik. Auch wenn am Tonpult mehrere Techniker saßen, ist es ihnen während der kompletten Show nicht gelungen, den Sound so zu regeln, dass man ihn auch über die Boxen im Zuschauerbereich hört. Meistenteils hat man die Sängerinnen und Sänger nahezu unverstärkt gehört. Dabei passierte es dann auch nur allzu oft, dass die Solisten im Ensemblegesang untergingen.

Bei „Diese Nacht soll niemals enden“ zeigt sich, dass Steffan’s Kompositionen beileibe nicht trivial sind. So angenehm sie ansonsten dahinfließen, das zwei- bzw. am Schluss dreistimmige Arrangement dieses Songs ist bemerkenswert rund.

Auch Bühnenbild, Lichtdesign und Video bilden eine sehr harmonische Einheit. Die Wandlung von der lebendigen, erleuchteten Stadt zu Scrooge’s kargem Büro mit riesigem Tresor gelingt ganz hervorragend, die Videoprojektionen erzeugen in viele Szenen eine zusätzliche Weite, die sehr gut ins Gesamtbild passt. Doch auch hier spielt der Faktor Mensch einige Male einen Streich: Der Spotfahrer erfasst die singenden Akteure sehr häufig zu spät oder einfach falsch!

Bleiben noch die Choreographien. Auch diese fügen sich hervorragend in das von Alex Balga geschaffene London aus Dickens’ Zeiten ein. Sie sind schwungvoll, das Publikum kann mitklatschen und hat seine Freude an den herumwirbelnden Kleidern und dem Schneegestöber. Für „In Ketten geschmiedet“ hat Natalie Holtom ganz eindeutig Anleihen bei Dennis Callahan gemacht, denn die Bewegungsabläufe, synchronen Zuckungen und hoch gereckten Arme erinnern arg an „Tanz der Vampire“.

Das Finale zeigt noch einmal das (fast) perfekte Zusammenspiel aller Gewerke: Marley und der Engel entschweben Richtung Himmel – der geschmackvoll erleuchteten, sich in der Mitte öffnenden Bühnenrückleinwand, Felix Martin spielt den überglücklichen Scrooge nah am Rand des Wahnsinns und hat mit der Moral von der Geschichte das unbestreitbar wahre Schlusswort: „Wenn ich Liebe gebe, werde ich reich!“

„Vom Geist der Weihnacht“ ist ein sehr gut inszeniertes, mit viel Gespür für Details auf die Bühne gebrachtes Weihnachtsmusical für die ganze Familie. Genau so etwas sucht man in der hektischen Vorweihnachtszeit!

Michaela Flint

Theater: Theaterzelt Neue Mitte, Oberhausen
Premiere: 26. November 2015
Darsteller: Felix Martin, Ron Holzschuh, Annemarie Eilfeld
Regie / Musik: Alex Balga / Dirk Michael Steffan
Fotos: Jens Ochmann