home 2015 Aufwendige Produktion in kleinem Rahmen

Aufwendige Produktion in kleinem Rahmen

Schon zum dritten Mal bringt die Broadway Entertainment GmbH im beschaulichen hessischen Roßdorf ein Musical auf die Bühne der Rehberghalle. Das Besondere an diesen Produktionen ist, dass fast ausschließlich Jugendliche aus dem Landkreis das Stück erarbeitet haben, auf der Bühne stehen und im Orchester spielen. Entsprechend hat man an die Umsetzung von Andrew Lippas „The Addams Family“ keine hohen Erwartungen, wird jedoch schnell eines Besseren belehrt.

Die Bühne in der an eine Schulaula erinnernde Rehberghalle ist unerwartet groß und wird mit durchdachten Szenenbildern zum Leben erweckt. Das 13-köpfige Live-Orchester unter der Leitung von Jan Brell ist links und rechts der Bühne auf 3 Ebenen hinter fahrbaren Leinwänden untergebracht.

Die 17 Darsteller füllen die Bühne gleich von Beginn an aus. Die Kostüme (Sigrid Vogel) sind sehr gut: Man erkennt die bekannten Figuren der skurrilen Familie Addams sofort wieder. Auch deren durchweg weibliche Ahnen können sich sehen lassen. Im Mittelpunkt des Geschehens steht Wednesday, die sich zum Schrecken ihrer Eltern Gomez und Morticia in einen ganz normalen Jungen verliebt hat. Auch Lucas’ Eltern Malcom und Alice sind über diese Liaison wenig begeistert. Dennoch treffen alle bei einem gemeinsamen Abendessen aufeinander. Die schrägen Familienmitglieder der Addams – Sohn Pugsley, Lurch, Vetter Fester und die Oma – sorgen für reichlich Aufregung und es gibt ein herrliches Durcheinander.

Die Nachwuchskünstler bringen die exzentrischen Charaktere gut auf die Bühne. Nicht selten wirkt das Schauspiel etwas arg aufgesetzt – klassisches Over-Acting findet sich ebenso wie deutlich sichtbares Lampenfieber – doch die Darsteller sind sympathisch und Mark Lustig als Frankenstein-Double Lurch sowie Johannes Kahlhöfer als gestrenger Vater Malcom lassen über andere Unzulänglichkeiten hinwegblicken. Auch gesanglich gibt es durchaus noch Optimierungspotential. Doch vor allem Helena Lenn als Alice und Pamina Lenn als Wednesday sind hier echte Lichtblicke. Auch Benedikt Vogel gibt den pseudo-eleganten, tollpatschigen, dauerverliebten Gomez Addams durchaus glaubhaft.

Insgesamt etwas farblos bleibt Alexandra Mordenti als Morticia. Sie bewegt sich unsicher auf der Bühne und scheint ihren Charakter nicht wirklich verinnerlicht zu haben. Anstelle des Familienoberhaupts und der rassigen Ehefrau Gomez’ wirkt sie eher wie ein Mauerblümchen in der Midlife-Crisis. Richtige Sympathieträger sind dagegen der auf urkomische Art den Mond anschmachtende Fester (Marcel Lutz), die quäkende, einem Joint nicht abgeneigte Oma (Maria-Pia Parrino) und natürlich der morbide kleine Bruder Pugsley (Finn Logemann).

Viele der Darsteller haben auch Aufgaben abseits der Bühne übernommen. So hat das junge Liebespaar Wednesday und Lucas (Pamina Lenn und Hans-Tilmann Rose) auch Regie geführt. Ihre Kreativität und der Einfallsreichtum, mit dem sie die verschiedenen Szenen umgesetzt haben, würden auch auf einer Stadttheaterbühne ihre Wirkung nicht verfehlen. Beispiele hierfür sind Festers Liebeserklärung an den Mond („Sagt der Mond ‚Ich liebe Dich’“) sowie sein finale Reise dorthin, das etwas andere Liebesduett „Verrückter als Du“ und auch das unerwartete „Tauch hinab ins Dunkel“ von Lurch (Mark Lustig). Lenn und Rose habe viele kleine, feine Details eingearbeitet, die dieses ohnehin schon herrlich schräge Musical für den Zuschauer noch amüsanter machen.

In den Bereichen Ton- und Lichttechnik (Michael Tauber und Kilian Scheiding) gäbe es durchaus noch ein paar Verbesserungsmöglichkeiten. Doch im Großen und Ganzen funktionieren auch diese Gewerke gut.

Die Kulissen (Fabian Schmid / Benedikt Vogel) sind mehr als nur zweckdienlich. Hier hat sich das Kreativteam unter Zuhilfenahme verschiedenster großer und kleiner Kulissen, Zügen und Hebevorrichtungen ebenfalls viel Mühe gegeben, Abwechslung auf die Bühne zu bringen.

Doch was wäre ein Musical ohne die Musik? Andrew Lippa hat schwungvolle Songs komponiert, die von Jan Brells Orchester mit genau der richtigen Dosierung, mal kraftvoll mal ganz sanft, intoniert werden. Auch hier muss sich die Broadway Entertainment GmbH nicht verstecken.

Vielleicht ist es nach drei Jahren Zeit für den Aufbruch in die nächstgrößere Stadt? Dort gibt es sicherlich zahlreiche Bühnen, die so talentierten Nachwuchskünstlern eine Chance geben würden.

Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: Rehberghalle, Roßdorf
Besuchte Vorstellung: 6. September 2015
Darsteller: Benedikt Vogel, Mark Lustig, Johannes Kahlhöfer, Marcel Lutz, Maria-Pia Parrino
Musik / Regie: Andrew Lippa / Pamina Lenn,  Hans-Tilmann Rose
Fotos: Peter Harbauer