home 2015 Dieses Musical vertreibt alle Regenwolken und macht richtig gute Laune!

Dieses Musical vertreibt alle Regenwolken und macht richtig gute Laune!

Es ist 20.17 Uhr in der schönen Burgkulisse in Bad Vilbel, alle Ränge sind gefüllt und als erstes betritt Benedikt Borrmann, der Regisseur, die Bühne. Die Erklärung folgt auf dem Fuße: Sascha Luder, der Darsteller des Don Lockwood ist kurzfristig erkrankt und kann daher nicht spielen. Seinen Part füllen an diesem Abend Raphael Koeb und Martin Ruppel aus, die sich die Rolle teilen. Mit dem Ausspruch, dass das Publikum den Unterschied nicht merken würde, wenn er nicht darauf hingewiesen hätte, sollte Borrmann Recht behalten.

Dass „Singin‘ in the Rain“ ein Musical alter Schule, mit viel Witz und Slapstick ist, merkt das Publikum direkt in der ersten Szene: Die Inszenierung  der Jubelfeier nach der Premiere des aktuellen Stummfilms von Hollywood-Traumpaar Lina Lamont und Don Lockwood wirkt urkomisch, wenn die in eintönige Trenchcoats gehüllten Fans Regieanweisungen bekommen, ihre schillernden Stars noch frenetischer zu feiern. Die eingeforderte Gesangs- und Tanzdarbietung stellt das Leinwandpaar jedoch vor ein Problem: Don Lockwood kann nicht tanzen und Lina Lamont lispelt so herzzerreißend, dass an Singen gleich gar nicht zu denken ist. Verena Jakupow spielt die zickige und in Bezug auf Dons Liebe leicht wahrnehmungsgestörte Filmdiva ganz hervorragend. Wie konsequent sie den Sprachfehler sowohl in den Dialogen als auch in ihrem Solo umsetzt, ist beeindruckend. Sie überzeugt gleichermaßen in den naiven wie in den starken Momenten, spielt die Cleopatra urkomisch und spart nicht mit den Allüren einer Diva.

Linas erklärtes Feindbild – in erster Linie, da sie ihr Don abspenstig macht – ist Cathy. Die junge Schauspielerin und Sängerin lernt Don eher zufällig kennen, der wiederum erkennt sofort ihre Stärken als Sängerin und erliegt schnell ihrem natürlichen Charme. Die beiden kommen sich immer näher und als der Tonfilm die Karriere von Don und Lina zu beenden droht, kommt Dons Freund, dem Filmpianisten Cosmo, der rettende Einfall: Man dreht Cleopatra als Tonfilm und nachts, wenn niemand im Studio ist, werden Linas Passagen einfach von Cathy gesprochen und gesungen. Studioboss R. F. Simpson ist glücklich, Don und Cathy erst recht – nur Lina fährt aus der Haut als sie von dem Schwindel erfährt. Es gelingt ihr, Simpson dahingehend zu erpressen, dass Cathy hinter dem sprichwörtlichen Vorhang bleibt und Lina sich weiterhin als Star feiern lassen kann. Auf der Premierenfeier zu „Cleopatra“ kommt es doch zu einem folgenschweren Auftritt: Lina soll den aktuellen Hit des Films singen, was natürlich unmöglich ist. Also bewegt sie nur die Lippen, während Cathy backstage für sie singt. Doch plötzlich öffnet sich der Vorhang und Cosmo übernimmt den Gesangspart. Lina tut zunächst noch weiter so als ob sie singen würde, doch das Publikum erkennt den Schwindel natürlich sofort und Lina stürmt von der Bühne. Cathy wird als neuer Star des Tonfilms gefeiert und Lina gibt sich in privater wie beruflicher Hinsicht geschlagen.

Regelmäßige Besucher der Burgfestspiele erkennen einige bekannte Gesichter im Ensemble: So steht Julia Waldmayer, die Alex in „Flashdance“, hier als aufreizende Dora Bailey und hinterlistige Zelda auf der Bühne. Tim Al-Windawe, Stahlwerk-Chef Nick in „Flashdance“, gibt hier den Studioboss R. F. Simpson und auch Cathy alias Janice Rudelsberger kennt man aus dem 80er Jahre Musical, wo sie die naive Gloria spielt. Komplettiert wird die Riege der Protagonisten von David Hardenberg als Cosmo.

Wie bereits erwähnt, teilten sich an diesem Abend Raphael Koeb und Martin Ruppel die Rolle des Don Blackwood. Koeb überzeugt schauspielerisch und auch gesanglich. Der Wettstreit zwischen ihm als Filmschauspieler und Cathy als  Theaterschauspielerin ist sehr lustig. Leider dauert es volle drei Szenen bis auch Waldmayer zu verstehen ist, da ihr Mikro direkt zu Beginn des Stücks ausgefallen ist. Im Duett „You are meant for me“ harmonieren die beiden leider nicht ganz so gut. Doch ihre Soli wie bspw. „You are my lucky star“ von Waldmayer gelingen recht ansprechend.

Raphael Koeb weiß offenbar ganz genau, wo seine Grenzen sind, denn die Tanznummern überlässt er Martin Ruppel. Als „Tanzdouble“ ins Stück eingebaut, fällt die Doppelbesetzung der Rolle nicht auf. Es wirkt völlig plausibel, dass sich ein Leinwandschauspieler für Tanzszenen doubeln lässt. Ruppel bewegt sich geschmeidig und singt „Singin‘ in the Rain“ mit viel Gefühl und Lebensfreude.

David Hardenberg empfiehlt sich ganz klar als heimlicher Hauptdarsteller: Als Cosmo lenkt er die Geschicke seiner Kollegen und hat dabei immer das richtige Gespür für Timing. Mit viel Witz und Charme wickelt er sogar Lina ein. Hardenberg hat immer den Schalk im Nacken und bringt die Slapstick-Nummern sehr überzeugend über die Rampe („Make `em laugh“). Auch sein Klavierspiel auf dem entsprechend bemalten Brett in den Kulissen zeugt von viel musikalischem Gefühl. So schlitzohrig er auch wirkt, so souverän meister er die Stepp- und Tanznummern. Er wirbelt elegant über die Bühne und es macht Spaß, ihm dabei zuzusehen.

Die Choreographien sind insgesamt sehr gelungen. Annette Taubmann schickt das Ensemble mit klassischen Schrittfolgen der 20er Jahre über die Bühne. Besonders gelungen sind hierbei die Steppnummer „Good Morning“, der Fächertanz „Beautiful Girl“ und die Extrablattnummer „Martin‘s Gate“. Auch die überdimensionalen Buchstaben „HOLLYWOOD“, die allesamt epochengemäß geschmackvoll tapeziert sind, können mit ihrer Wandlungsfähigkeit überzeugen (Bühne: PIa Oertel). Gleiches gilt für die Kostüme (Anja Müller). Sie sind durch die Bank sehr stimmig und abwechslungsreich. Einzig die Farbe der Fächer im o.g. „Fächertanz“ passt so gar nicht zu den roten Kleidern der Tänzerinnen. Apropos Tänzerinnen… Leider können diese nach „Flashdance“ auch bei „Singin‘ in the Rain“ nicht überzeugen. Obwohl die Choreographien der beiden Stücke grundverschieden sind, hapert es mal an der Synchronizität, mal an der Sauberkeit der ausgeführten Schritte.

Für große Lacher sorgen die Filmsequenzen in Schwarz-Weiß, die immer mal wieder und insbesondere als Auftakt zum zweiten Akt auf die Leinwand projiziert werden: „Cleopatra“ als Tonfilm mit der echten Stimme von Lina ist sensationell komisch und herrlich überzeichnet. Allein dadurch gewinnt diese Produktion ungemein.

„Singin‘ in the Rain“ ist nicht nur als Technicolor-Film mit Gene Kelly, Donald O’Connor und Debbie Reynolds ein Garant für gute Unterhaltung. Auch als Bühnenadaption hat diese Geschichte das Zeug zum Klassiker. Und wenn er mit soviel Liebe zum Details und so sympathischen Hauptdarstellern umgesetzt wird, wie bei den Burgfestspielen in Bad Vilbel allemal!

Michaela Flint

Theater: Burgfestspiele Bad Vilbel
Besuchte Vorstellung: 9. Juli 2015
Darsteller: Verena Jakupow, Janice Rudelsberger, Raphael Koeb, Martin Ruppel
Musik / Regie: Betty Comden, Adolph Green / Benedikt Borrmann
Fotos: Burgfestspiele Bad Vilbel