home 2015 Eine Musicallehrstunde zum Zungeschnalzen

Eine Musicallehrstunde zum Zungeschnalzen

Allein die Ankündigung, dass die UK-Tour von „Jesus Christ Superstar“ mit Glenn Carter in der Titelrolle auch in Deutschland zu sehen sein würde, sorgte bei nicht wenigen Musicalfans für Entzücken. Denn was gibt es Schöneres als ein Stück in der Sprache zu erleben, in der es seinerzeit geschrieben wurde? Text und Melodie harmonieren, Inhalte und Botschaften wirken authentisch. Daran gibt es keine Zweifel.

Natürlich haben auch diejenigen Musicalbesucher Recht, die es vorziehen ein Stück in ihrer Landessprache zu sehen – doch dafür gibt es hierzulande inzwischen mehr aus ausreichend Gelegenheit. Umso erfreulicher, dass es Einrichtungen wie die English Theatres in Hamburg und Frankfurt gibt, die Originalstücke zeigen. Oder es sind eben Tourveranstalter, wie in diesem Fall BB Promotion, die erstklassig besetzte, gut inszenierte Musicaltourneen nach Deutschland holen.

Schon bei der Ouvertüre, während der alle Protagonisten die Bühne betreten, wird klar: Hier legt man Wert auf Qualität! Der Sound des inkl. Dirigenten nur siebenköpfigen Orchesters ist weitestgehend hervorragend. Ab und an ist die E-Gitarre zu laut oder das Schlagzeug zu dumpf, doch im Großen und Ganzen gibt es hier nichts zu meckern. Im Gegenteil, Bob Broad treibt Musiker und Sänger gleichermaßen mit soviel Energie und Körpereinsatz an, dass man glatt vergisst, dass große Teile von Andrew Lloyd Webbers Erfolgskompositionen vom Band kommen.

Die bei fremdsprachigen Gastspielen übliche Übertitelung des Geschehens wurde bei dieser Tour dankenswerter Weise auf kurze Szenenzusammenfassungen beschränkt. So findet sich jeder schnell in der rockigen Nacherzählung der Passionsgeschichte zurecht.

Dass in Mannheim durchaus eine beachtliche Anzahl von Musicalkennern im Publikum sitzt, hört man am aufbrandenden Applaus als Glenn Carter die Bühne betritt. Schon bei den ersten Tönen wird deutlich, dass er diese Rolle bis in die letzte Pore verinnerlicht hat. Sanft und harmonisch bildet er den idealen Counterpart zu einem sehr intensiven Judas (Tim Oxbrow).

Auch choreographisch gelingt es, einen Bogen von den etwas angestaubten 70er/80er Jahre Choreographien zu zeitgemäßen Schrittfolgen zu spannen. Carole Todd hat beispielsweise für „What’s the Buzz“ eine sehr fordernde Choreographie ersonnen.

Caiaphas und Annas sind mit Cavin Cornwall und Alistair Lee ideal besetzt. Cornwall, der neben Glenn Carter als Peter in der DVD-Aufnahme von 2000 zu sehen ist, ist gertenschlank und überragt die meisten seiner Kollegen. Sein einschüchternder Habitus und sein voller Bariton passen perfekt zu Jesus’ erbitterndem Gegner. Lee komplettiert das Duo auf eine schön zickige Art und Weise.

Ein eher zwiegespaltener Widersacher von Jesus ist Pontius Pilatus, hier gespielt von Johnathan Tweedie. Auch wenn er sehr menschlich wirkt, gelingt es ihm nicht ganz, die innerliche Zerrissenheit zu vermitteln, die schlussendlich zu den 39 Peitschenhieben führt, die auch in dieser Inszenierung die körperlichen Leiden vom Jesus greifbar machen.

Regisseur Bob Tomson hat sichtlich ein Händchen für dramatische Inszenierungen. „See Me Christ“ ist sehr beklemmend umgesetzt, man spürt förmlich wie sehr Jesus die Vielzahl an Anfragen, die an ihn gestellt werden, überfordern. Auch dass beim letzten Abendmahl in einem kurzen Standbild Leonardo da Vincis weltberühmtes Gemälde nachgestellt wird, ist eine passende Idee, die vollends funktioniert. Weniger gelungen ist hingegen „Tell Me Jesus“. Die Szene erinnert vage an die Umsetzung, die man von der DVD kennt, aber mit nur zwei Taschenlampen und willkürlich ausgelöstem Blitzlicht erscheint es halbherzig und die Intensität dieser Szene verpufft. Herausragend sind hingegen King Herod’s Auftritt sowie die Kreuzigung Jesu. Herodes ist ganz deutlich den leichten Genüssen zugetan. Er kokettiert mit seiner femininen Seite und sieht in Jesus eher ein lästiges Spielzeug, das ihn schnell langweilt. Tom Gilling erinnert mehr als nur vage an Tim Currys Interpretation des Frank’n’Furter aus der „Rocky Horror Picture Show“.

Die Umbaupause zwischen Jesus Verurteilung und seiner Hinrichtung nutzt Tomson effektvoll durch den Einsatz von sphärischen Klängen in Zusammenspiel mit einem sehr guten Lichtdesign (Nick Richings). Das Kreuz wird aus dem Bühnenboden gehoben und Jesus lautstark daran festgenagelt. Das in den folgenden Minuten zum Einsatz kommende Beleuchtung verleiht der Szene etwas Magisches.  In der finalen Szene kann Glenn Carter seine ganze Erfahrung ausspielen. Selten hat man einen Jesus so lange, so intensiv sterben sehen.

Aber auch Tim Oxbrow legt in Judas’ Selbstmordszene sowohl stimmlich als auch schauspielerisch eine Kraft und Energie an den Tag, die man so nicht erwartet hätte. Einmal mehr unterstützt durch ein herausragendes Lichtdesign sorgt diese Szene für Gänsehaut. Die gleiche Reaktion, jedoch in wesentlich größerer Intensität, löst zum Ende des ersten Akts „Gethsemane“ aus: Glenn Carters stimmliche Bandbreite ist überragend – er trifft von den tiefen vollen Tönen bis hin zur höchsten Kopfstimmennote direkt ins Mark.

Ein wenig verwirrend istt jedoch, dass die Jünger Jesu in Doppelrollen als Priester, Römer oder Bewohner Jerusalems zu sehen sind, was es manchmal schwer macht, die Darsteller richtig einzuordnen.

Aber insbesondere Edward Handoll als Peter prägt sich im Duett mit Rebekah Lowings als Mary Magdalene nachhaltig ein. Während beide in ihren Soli nicht hundertprozentig überzeugen können, harmonieren ihre Stimmen im Duett perfekt. „Could we start again please“ wird so eine der schönsten Balladen des Abends.

Diese UK-Tour wurde von absoluten Könnern ihres Fachs auf die Bühne gebracht. Dazu zählt neben der Gesamtregie, der musikalischen Leitung und dem schon erwähnten Lichtdesign auch das Bühnenbild von Paul Farnsworth. Die Metallgalerie vor überdimensionalen dunkeln Säulen mit entsprechenden Intarsien und die vielseitig ins Spiel mit einbezogene Treppe bilden einen guten Rahmen, ohne den Darstellern die Schau zu stehlen.  Doch alle Gewerke greifen perfekt ineinander, um die Charaktere in den Mittepunkt des Geschehens zu stellen.  Und sind es nicht die Darsteller, die in einem Musical als Katalysator für die Handlung und Musik dienen? „Jesus Christ Superstar 2015“ ist der perfekte Beweis hierfür!

Michaela Flint

Theater: Nationaltheater, Mannheim
Besuchte Vorstellung: 8. August 2015
Darsteller: Glenn Carter, Tim Oxbrow, Rebekah Lowings, Edward Handoll, Cavin Cornwall, Alistair Lee
Musik / Texte: Andrew Lloyd Webber / Tim Rice
Fotos: Pamela Raith / BB Promotion