home 2015 Tolles Bühnenbild, großartiges Orchester und eine ungewöhnliche Besetzung

Tolles Bühnenbild, großartiges Orchester und eine ungewöhnliche Besetzung

Frank Wildhorns düsteres Musical gehört nicht zum Standard-Repertoire deutscher Stadttheater. Doch es gibt immer wieder mutige Intendanten, die das Stück auf den Spielplan setzen – wohl wissend, dass es keine leichte Kost für ihre Abonnenten ist. Im Mainfranken Theater in Würzburg zeichnen Hermann Schneider (Intendant) und Christoph Blitt (Dramaturg) für diese Entscheidung verantwortlich. Die Regie übernahm in Würzburg Ivan Alboresi.

Das erste Highlight ist akustischer Natur: Das Philharmonische Orchester Würzburg unter der Leitung von Sebastian Beckedorf zeigt schon bei der voluminösen Ouvertüre seine komplette Bandbreite und versetzt das Publikum in die richtige Stimmung.

„Jekyll & Hyde“ lebt vom Spiel Gut gegen Böse. Entsprechend ist die große Bühne überwiegend in dunklen Tönen gehalten. Bernd Franke setzt das Licht überaus effektiv ein, um verschiedene Szenerien zu erzeugen. Dazu nutzt er Hubbühne, Spiegel- und Glaselemente sowie wenige Großkulissen, um den verschiedenen Spielorten eine zusätzliche Dramaturgie-Ebene zu geben.

Die volle Pracht der Kostüme bekommt das Publikum direkt nach der Eröffnungsszene zu sehen. Götz Lanzelot Fischer kleidet die Darsteller in zeitgemäßen Roben und Anzügen in gedeckten Farben. Während er hierbei viel Stil beweist, wirken die Kostüme der „Mädchen der Nacht“ eher plump und billig als sexy.

Eine große Anzahl an Darstellern auf der Bühne stellt die Regie immer wieder vor Herausforderungen. In Würzburg gelingt es jedoch gut, das Hausensemble, den Opernchor, die Ballettcompagnie und Komparserie des Mainfranken Theaters Würzburg in Einklang zu bringen. Die Darstellung der Zwei-Klassen-Gesellschaft mithilfe von Hubbühne, Kostümfarben und Licht ist exzellent. Schwächen werden in erster Linie während der choreographierten Sequenzen deutlich: Viele bewegen sich hölzern und wenig geschmeidig, was zum Stil von Wildhorns Musik so gar nicht passen möchte.

Dafür ist es umso mehr ein Genuss, wenn bei „Fassade“ oder „Mörder“ ein großes Ensemble zu hören ist. Dass man in Würzburg überwiegend klassische Stimmen hört und auch viele Soloparts von klassischen Sängern übernommen werden, ist gewöhnungsbedürftig. Einzelne haben zudem deutliche Probleme mit dem Tempo der Partitur und der deutschen Sprache. Doch die Protagonisten sind gut besetzt worden.

Für die Titelrolle wurde mit Armin Kahl ein erfahrener Musicaldarsteller als Gast engagiert, der genau weiß, worauf es bei dieser Rolle ankommt. Es gelingt ihm im gleichen Maß, tiefe Gefühle zu zeigen und diese gesanglich zu transportieren, als auch die Aggressivität und Bösartigkeit von Mr. Hyde über die Rampe zu bringen. Jekyll/ Hyde gehört nicht ohne Grund zu den anspruchsvollsten Rollen im Musicalbusiness. Der Darsteller muss nicht nur schauspielerisch von zärtlich bis gefährlich, von liebevoll bis mörderisch alle Facetten beherrschen, sondern auch stimmlich und gesanglich diese beiden Figuren so deutlich herausarbeiten können, dass das Publikum sie als einzelne Charaktere wahrnimmt.

Armin Kahl kann mit „Dies ist die Stunde“ das Publikum in seinen Bann ziehen. Die Verwandlung von Dr. Jekyll zu Mr. Hyde wird unter anderem durch sich ausbreitende Tattoos dargestellt. Zunächst nur auf einer Brust, breiten sich die Tribals Szene für Szene über den ganzen Oberkörper aus und in Videoeinblendungen wird klar, wohin dies führen wird.

Warum Kahl jedoch als Mr. Hyde mit der Körperhaltung des Glöckners von Notre Dame über die Bühne humpelt, bleibt fraglich. Denn auch ohne diesen verkrümmten Körper hat sein Spiel eine berückende Intensität und strahlt in jeder Sekunde höchste Gefahr aus.

Die „Konfrontation“ ist von Alboresi einmal mehr herausragend umgesetzt: Während im Hintergrund ein gigantischer, bedrohlicher Edward Hyde projiziert ist, singt Jekyll zu den darunter aufgereihten Opfern Hydes. Die Anspannung ist greifbar und die Auseinandersetzung von Kahl beklemmend authentisch umgesetzt.

Ein weiteres Highlight des Stücks ist das „Gefährliche Spiel“ von Hyde und Lucy. Leider ist die Szene etwas zu brav inszeniert, auch wenn Armin Kahl und Barbara Schöller (Lucy) gesanglich überzeugen können. Es mag aber auch daran liegen, dass Schöller das übliche Rollenalter deutlich übertrifft. Sie ist seit Jahren fest im Würzburger Ensemble engagiert und kann die Figur der Lucy stimmlich durchaus meistern. Doch es ist schon eher befremdlich, dass Lucy älter zu sein scheint als Hyde.

Gleiches gilt für Dr. Jekylls Verlobte Lisa: Wenn Anja Gutgesell am Arm von Sir Danvers die Bühne betritt, hält man sie zunächst für Lisas Mutter. Auch im Laufe des Stücks irritiert es immer wieder, dass Lisa kein junges Mädchen ist, sondern eine gestandene Frau. Nichtsdestoweniger gefällt Gutgesell mit dem sehr pur inszenierten „Wenn jemand wie Du“ und auch ihr selbstbewusstes Spiel überzeugt.

Das Zusammenspiel aller Gewerke im Mainfranken Theater ist bei „Jekyll & Hyde“ gelungen. Das Orchester intoniert Wildhorns erfolgreiches Musical mit viel Energie. Alboresi schafft eine spannende, knisternde Atmosphäre und setzt die Titelfigur gekonnt in Szene. Auch der effektvolle Einsatz der technischen Möglichkeiten (Hubbühne, Videoprojektionen) macht diese Inszenierung sehenswert. Armin Kahl spielt Dr. Jekyll / Mr. Hyde mit vollem Einsatz und besticht nicht nur stimmlich, sondern vor allem durch seine gänsehautschaffende schauspielerische Intensität.

Michaela Flint
gekürzt erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: Mainfranken Theater, Würzburg
Besuchte Vorstellung: 15. Dezember 2015
Darsteller: Armin Kahl, Anja Gutgesell, Barbara Schöller 
Regie / Musik: Ivan Alboresi / Frank Wildhorn
Fotos: Mainfranken Theater